Nestlé hat ein schlechtes Image – zu Recht?
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Nestlé
Der weltweite Lebensmittelhandel unterliegt einer kleinen Gruppierung von Konzernen, dazu gehört Nestlé.
Nestlé wurde 1866 gegründet und hat seinen Hauptsitz in der Schweiz, ist inzwischen aber in 194 Ländern vertreten. Zu Nestlé gehören mehr als 2000 Marken (unter Anderem Nescafé, Wagner Pizza, Mövenpick, Kitkat, Maggi etc.). Laut den Geschäftszahlen 2018 hat Nestlé weltweit etwa 308000 MitarbeiterInnen, in insgesamt etwa 400 Fabriken in mehr als 85 Ländern. Mit einem jährlichen Umsatz von über 80 Milliarden € gehört Nestlé zu den weltweit umsatzstärksten Unternehmen.
Nestlé’s Liste an skandalösen Schlagzeilen, öffentlicher Kritik, Sammelklagen und Protesten durch Menschenrechts-, Umwelt- und Tierschutzorganisationen ist lang. 2007 erhielt der Konzern sogar den internationalen Black Planet Award für „herausragende Verantwortung bei Zerstörung und Ruin unseres Blauen Planeten hin zu einem schwarzen Planeten“ von der Ethik&Ökonomie-Stiftung.
Kritikpunkte:
Ungesunde Produkte
Nestlé gründete 2011 die Nestlé Health Science GmbH sowie das Nestlé Institute of Health Sciences, um Lebensqualität und Gesundheit von VerbraucherInnen zu steigern. Trotz der guten Vorsätze und schön formulierten Leitgedanken wurde im Juni 2021 in einem Bericht der Financial Times publik gemacht, dass Nestlé in einem internen Firmendokument über 60% der eigenen Produkte als ungesund deklariert hat.
Einige der Produkte sorgten im Laufe der letzten Jahrzehnte für Schlagzeilen, unter anderem Milchpulver und Instantnudeln.
In den 1970er und 80er Jahren gab es erstmals immense öffentliche Kritik an Nestlé, nachdem der Konzern Milchersatz-Produkte für Säuglinge auf den Markt brachte. Die Vermarktung solcher Produkte ist bis heute umstritten.
Mittels aggressiver Werbung hat Nestlé Mütter dazu verleitet, konservierte Nahrung dem Stillen vorzuziehen, vor allem in Entwicklungsländern. 1974 veröffentlichten zwei englische Hilfswerke die Studie „The Baby Killer“, in der Nestlé beschuldigt wird, für den Tod vieler Säuglinge in Südamerika und Afrika verantwortlich zu sein. Der Konzern verklagte die Aktivisten wegen Verleumdung und übler Nachrede, gab aber 1981 Anlass für einen neuen Verhaltenskodex der Weltgesundheitsorganisation, nachdem nur noch eine sehr restriktive Vermarktung von Säuglingsnahrung zulässig ist.
Die indische Lebensmittelbehörde Food Safety and Standards Authority of India verklagte Nestlé, nachdem 2015 bei Laboruntersuchungen von Maggi-Instantnudeln erhöhte Mengen Blei, Asche und Mononatriumglutamat gefunden wurden. Das Produkt wurde von der indischen Behörde für Lebensmittelsicherheit als „unsicher und gefährlich“ eingestuft, wurde aber nur für sechs Monate vom Markt genommen.
Unmengen an (Plastik-) Müll
Plastikmüll ist ein großes Problem für die Umwelt, vor allem Einwegplastik. Ein Großteil des Plastikmülls wird von Unternehmen als Verpackungsmittel für Konsumgüter generiert.
Seit 2018 ermittelt das Bündnis „Break Free From Plastic“ jährlich die weltweit größten Verursacher von Plastikverschmutzung. Nestlé befand sich bei jeder der Analysen neben Coca-Cola, PepsiCo und Unilever unter den ersten vier Plätzen.
Im Rahmen einer Transparenzinitiative machte Nestlé 2018 öffentlich, dass der Konzern in dem Jahr rund 1,7 Millionen Tonnen Kunststoff produzierte, der Großteil davon Einwegplastik.
Nach massiver öffentlicher Kritik gründete Nestlé ein Institut für Verpackungstechnologie und verkündete die Absicht, bis 2025 neue, nachhaltige Lösungen zur Reduktion von Verpackungsmüll zu entwickeln.
Erwähnenswert sind nicht nur die Plastikverpackungen, sondern auch die Nespresso-Verpackungen aus Aluminium. Um den Konsumenten das Hantieren mit Kaffeefiltern zu ersparen, bietet Nestlé Kaffee in kleinen portionierten Kapseln an. Umgerechnet kostet der Kaffee dabei jedoch etwa 70€ pro Kilogramm, und es entstehen etwa 8.000 Tonnen Müll pro Jahr. Umweltschützer kritisieren zudem, dass der Abbau von Aluminium Naturräume zerstört und giftigen Rotschlamm hervorbringt, und dass das Schmelzen des Metalls sehr energieintensiv ist. Nestlé reagierte auf die vermehrte Kritik und kündigte an, zukünftig hauptsächlich Recycling-Aluminium zu verwenden. Auch dieser Vorschlag wurde von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) kritisiert. Thomas Fischer, Leiter der Kreislaufwirtschaft der DUH, vermutet, dass hauptsächlich Abfälle aus der Aluminiumproduktion genutzt würden, welche aufgrund ihres Wertes ohnehin eingeschmolzen und als neuwertig gehandelt werden – Fischer sagte „Solche Reste werten wir als Neumaterial, dadurch wird die Umwelt nicht entlastet.“. Nespresso-Abfälle können zwar recycelt werden, werden aber mit anderen Aluminium-Abfällen verscheidenster Legierungen zu qualitativ weniger hochwertigem Guss-Aluminium verschmolzen.
Privatisierung von Trinkwasserquellen
Laut UNESCO haben weltweit etwa 1,3 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Abgefülltes Wasser ist im Laufe des letzten Jahrhunderts zunehmend teurer geworden. Führend auf dem Markt für Flaschenwasser ist Nestlé.
Nestlé hat weltweit viele Rechte auf Wasserressourcen von Behörden gekauft, um es abgefüllt unter rund 77 verschiedenen Markennamen weiter zu verkaufen. Problematisch dabei ist, dass Nestlé sogar Wasser in Dürreregionen wie Äthiopien abpumpt, und dass an manchen Orten mehr Wasser entnommen wird, als natürlich regeneriert werden kann, sodass vielerorts der Grundwasserspiegel sinkt und Brunnen austrocknen. Zudem werden dabei Unmengen an Plastikmüll produziert (viele der Nestlé-Flaschen bestehen aus Einwegplastik), und durch lange Transportwege werden CO2-Emissionen verursacht.
In der 2005 erschienenen Dokumentation „We feed the world“ wurde ein Interview mit dem damaligen Nestlé-Chef Brabeck-Letmathe gezeigt, welches dem Konzern um die Ohren geflogen ist. Konfrontiert mit der Aussage, dass Trinkwasserzugang ein öffentliches Recht sein sollte, sagte Brabeck-Letmathe frei heraus: „Wasser ist ein Lebensmittel und so wie jedes andere Lebensmittel sollte es einen Marktwert haben.“.
Verwendung von gentechnisch veränderte Lebensmittel
Im Kontext der Lebensmittelindustrie werden gentechnisch veränderte Pflanzen wie Mais, Sojabohnen, Raps und Baumwolle in vielen Ländern angebaut. Viele dieser Pflanzen werden zu Futtermittel verarbeitet, und in der Lebensmittelindustrie werden Verarbeitungsprodukte dieser Pflanzen (z. B. Öle, Fette, Stärkeprodukte) verwendet. Der weltweite Anbau solcher Pflanzen hat in den letzten Jahren zugenommen, vor allem in den USA und Argentinien.
Gentechnisch veränderte Pflanzen sind aufgrund ihrer Auswirkungen auf die Umwelt schwer umstritten – unter anderem, weil der wachsende Anbau eine Ausweitung von Monokulturen unter hohem Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden zur Folge hat, aber auch, weil noch nicht genug erforscht ist, ob der Konsum von gentechnisch veränderten Lebensmitteln Auswirkungen auf die Gesundheit mit sich bringen kann (wie z. B. Antibiotikaresistenzen).
In Europa gelten strenge Regelungen für gentechnisch veränderte Pflanzen, Futtermittel und Lebensmittel – in Deutschland sind Lebensmittel grundsätzlich gentechnikfrei.
Nestlé hält sich an die geltenden Vorschriften, nutzt aber gentechnisch veränderte Pflanzen in der Lebensmittelproduktion in vielen anderen Ländern, in denen dies zugelassen ist.
Zerstörung großer Flächen des Regenwalds
Nestlé wird seit vielen Jahren für seinen hohen Verbrauch an Palmöl kritisiert - jährlich werten etwa 420 000 Tonnen davon von dem Konzern verwertet.
Palmöl ist ein Rohstoff, der aus den Früchten tropischer Ölpalmen hergestellt wird. Ölpalmplantagen befinden sich überwiegend in Indonesien und Malaysia.
Für den Anbau von Palmöl werden großflächig Teile des Regenwalds gerodet, was gleichzeitig Vernichtung der Artenvielfalt („Laut einem Bericht der Weltnaturschutzunion gefährdet der wachsende Palmöl-Anbau insgesamt 193 Arten“), Verschmutzung der Umwelt und Schädigung des Weltklimas bedeutet. Entwicklungsorganisationen werfen den Palmöllieferanten zudem vor, dass lokale Kleinbauern von ihrem Land vertrieben werden, was auch zu gewaltsamen Landkonflikten führt, dass die angestellten Plantagenarbeiten unter ausbeuterischen bis hin zu menschenrechtsverletzenden Bedingungen stattfinden und dass sich unter den ArbeiterInnen auch Kinder befinden.
Nestlé hat 2010 auf die vermehrte Kritik reagiert und angekündigt, innerhalb von zehn Jahren „100% von Abholzung freie Lieferketten“ zu garantieren. Leider konnte Nestlé das Versprechen nicht halten – der Konzern gab an, dass seit März 2020 etwa zwei Drittel des Palmöls aus verifiziert entwaldungsfreiem Anbau bezogen werden. Das restliche Drittel wird aus Quellen bezogen, die sich nicht bis zur Plantage zurückverfolgen lassen – Abholzung lässt sich dabei nicht ausschließen.
Mangelndes Engagement gegen Kinderarbeit
Kinderarbeit ist ein schon lange anhaltendes, globales, komplexes Problem – vor allem in der Kakaoproduktion. Laut einer vom US-Arbeitsministerium finanzierten Studie verrichteten im Jahr 2014 rund 2,26 Millionen Kinder zwischen 5 und 17 Jahren schwere und gefährliche Arbeiten bei Anbau und Ernte von Kakao in Ghana und der Elfenbeinküste, den Hauptstandorten für Produktion und Export von Kakao.
Große Unternehmen, darunter Nestlé, kaufen möglichst günstigen Kakao ein und können kaum nachverfolgen, auf welchen Plantagen und unter welchen Bedingungen er angebaut und geerntet wird. Bereits 2001 veröffentlichten Medien weltweit Berichte über Kinderarbeit in der Kakaoindustrie. Nestlé, Mars, Hershey und weitere Unternehmen, und auch die Regierungen in Ghana und der Elfenbeinküste, unterzeichneten daraufhin ein Abkommen zur Beendigung von Kinderarbeit auf Kakaoplantagen mit dem Versprechen, durch gezielte Initiativen gegen Kinderarbeit vorzugehen und diese bis 2005 zu beenden. Die gesetzte Frist wurde nicht eingehalten und immer weiter in die Zukunft verschoben. Zwanzig Jahre nach dem Abkommen herrschen weiterhin schwere Missstände auf den Plantagen in Westafrika, Schätzungen zufolge hat sich die Zahl der auf Plantagen arbeitenden Kinder sogar erhöht.
Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurden mehrere Sammelklagen gegen Unternehmen wie Nestlé gerichtet. Die angeklagten Konzerne – Nestlé, Cargill, Mars und weitere – profitieren weiterhin von dem Verkauf günstig hergestellten Kakaos, der weiterhin auch von Kindersklaven geerntet wird.
Nestlé reagierte auf die Klagen mit einem speziellen Förderprogramm gegen Kinderarbeit. Kakaobauern sollen nachhaltiger anbauen und Zuschüsse für die Anmeldung ihrer Kinder in der Schule erhalten. 2022 will Nestlé tausende Kakaobauern in der Elfenbeinküste berücksichtigen, ab 2024 auch in Ghana. Langfristig möchte Nestlé nur noch nachhaltig und fair produzierte, zertifizierte Kakaoprodukte verwenden – eine Frist dafür gab der Konzern jedoch nicht bekannt.
Tierversuche
Auf der Website von Nestlé verkündet der Konzern: „Wir teilen Ihre Sorge über Tierversuche und haben uns global dazu verpflichtet, bei Nestlé den Einsatz von Tierversuchen auf ein Minimum zu reduzieren.“. Trotzdem geriet Nestlé häufiger in die Kritik aufgrund von fragwürdigen Tierversuchen.
Die Tierrechtsorganisation PETA brachte im August 2011 an die Öffentlichkeit, dass der Konzern Tierversuche an Mäusen und Ratten für Teeinhaltsstoffe der Marke Nestea durchführen lässt. Solche Verfahren sind für Getränkehersteller nicht gesetzlich vorgeschrieben und somit nicht erforderlich.
Seit 2015 handelt Nestlé mit Botox-Produkten von Ipsen. Bei den anfallenden Chargenprüfungen wird der LD50-Test an Mäusen durchgeführt, in dessen Verlauf die Tiere zuhauf unter Lähmungserscheinungen und Atemnot bis hin zur Erstickung leiden. Aufgrund großer Proteste von Tierschutzorganisationen hat der Botox-Produzent Allergan bereits 2011 einen behördlich anerkannten tierversuchsfreien Zelltest geschaffen. Weitere Hersteller haben in den Jahren danach ähnliche Verfahren entwickelt; seit 2019 sollte der LD50-Test auch von Ipsen nicht mehr durchgeführt werden.
Résumé:
Nestlé reagiert auf die öffentlichen Kritiken und tut vieles, um sein Image zu verbessern. An den Missständen hat sich trotzdem leider noch nicht viel geändert. Internes Wachstum und Profit scheinen für den Konzern eine höhere Priorität zu besitzen als faire und nachhaltige Produktionsbedingungen und gesunde Produkte.
Nestlé profitiert davon, dass viele einzelne Menschen ihre Produkte kaufen – indem man die Produkte kauft, unterstützt man den Konzern. Eine mögliche Reaktion auf die immense mediale Kritik an Nestlé ist der Verzicht auf Nestlé-Produkte.
Durch das Besuchen von Demonstrationen, Unterschreiben von Petitionen, Engagement bei aktivistischen Organisationen oder auch einfach durch das Reden über Missstände kann man, wenn man möchte, einen kleinen Teil dazu beitragen, Nestlé – und andere große kapitalistische Konzerne, die ähnlich agieren - zu boykottieren. Dabei geht es nicht darum, Nestlé als Konzern zu zerstören, sondern darum, dass Nestlé die Verantwortung für die Folgen seiner Arbeit übernimmt.
Moritz Neumeier, ein deutscher Kabarettist, sagte in einem Youtube-Video über Nestlé: „Die Hauptsache ist, dass man nicht glaubt, „Ich alleine kann sowieso nichts machen“, aber du bist nicht alleine.“