Nun sind die Wahlen zum Landtag in NRW geschafft.
Der Rote Faden
Von Rolf Mackowiak
Mehrheiten
Nun sind die Wahlen zum Landtag in NRW geschafft. Der Wahlsieger CDU gewann etwa 36% der Stimmen, auf die SPD enfielen knapp 27%. Wie kam es dann, daß vor der Wahl von einem Kopf-an-Kopf-Rennen die Rede war? Der Unterschied von etwa 9% weicht davon sehr erheblich ab.
Es ist nicht das erste Mal, daß sich Voraussagen als nur wenig realitätsfest erweisen. Die Wähler sind manchmal einfach hundsgemein!
Aber bleiben wir bei den Prozentzahlen. Die beziehen sich ja auf die abgegebenen Stimmen und dann relativiert sich das Ergebnis. Bei einer Wahlbeteiligung von nur 55,5% reduziert sich der Anteil der CDU auf knapp 20%, also etwa einem Fünftel. Dieses Fünftel legitimiert also die CDU, eine Landesregierung anzustreben, auch wenn sie dafür Koalitionspartner braucht. Da fühle ich mich als Wähler durchaus nicht angemessen vertreten.
Noch drastischer ist dieses Mißverhältnis bei einem reinen Mehrheitswahlrecht, bei dem nur der Abgeordnete gewinnt, der die Mehrheit der Stimmen erhält. „The winner takes it all“ ist die Devise. Deswegen haben es in Großbritannien kleinere Parteien sehr schwer, ihre Stimmen in politische Teilhabe umzusetzen.
Deutlicher ist das in den USA. Ohne ausreichende finanzielle Mittel sind Kandidaten chancenlos, und so setzen sich Senat und Repräsentantenhaus überwiegend aus Millionären zusammen. Ähnlich ist es auch in Deutschland. In allen Parteien sind Juristen stark vertreten. Ein Abbild der Bevölkerung stellen sie in keinem Fall dar.
Es wurde auch häufig versucht, den Begriff „Mehrheit“ umzudeuten. In den USA war der Begriff der „moral majority“ gängig, also der Anspruch, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben, unabhängig von den realen Mehrheitsverhältnissen: Wir sind zwar weniger, aber wir haben recht.
Aktuell ist der Streit um das Abtreibungsrecht in den USA. Obwohl eine Mehrheit der Bevölkerung für dieses Recht ist, kann dies durch die Richter des Supreme Court quasi verboten werden, da die Bestimmungen in die Hände der Bundesstaaten gelegt werden, und die sind überwiegend konservativ orientiert und haben schon entsprechende Gesetze zum Verbot vorbereitet.
Ich persönlich bin gegen Abtreibung – mit einem dicken ABER. Ich würde es mir als Mann niemals anmaßen, einer Frau in dieser Hinsicht Verbote zu erteilen. Es ist ihr Körper und sie allein hat das Entscheidungsrecht. Ich finde es geradezu zynisch, wenn dieselben Vertreter des „Rechts auf Leben“ genau die sind, die z. B. sexuelle Aufklärung oder Hilfen für ungewollt Schwangere möglichst aus der Welt schaffen wollen. Also bis zur Geburt maximaler Schutz, danach gilt „Sieh zu, wie du damit zurechtkommst.“ Da schleichen sich Männer ganz unelegant aus der Verantwortung.
Die Mehrheit der bundesrepublikanischen Bevölkerung sind Frauen. Die Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag sind Männer. Asymmetrischer könnten die Machtverhältnisse nicht sein. In der Wirtschaft gilt dasselbe. Erst eine gesetzliche Regelung mußte her, um in Aufsichtsräten diese Einseitigkeit abzumildern. Ganz aus der Welt ist sie damit noch lange nicht.
Allerdings haben Mehrheiten auch ihre Schattenseite. Wenn ich mir betrachte, welche Sendungen im Fernsehen hohe Einschaltquoten erreichen, dann kann ich darin kein Qualitätsmerkmal sehen. Allerdings habe ich einen Geschmack – egal in welchem Bereich – der weitgehend nicht mehrheitsfähig ist. Da bin ich durchaus elitär.
„We’re rather shifted to the average than to the exceptional“ lautet eine Zeile aus „Thick as a brick“ der Band Jethro Tull. Der Durchschnitt – oder soll ich es als Mittelmäßigkeit bezeichnen? - hat also das Sagen. Dann ab durch die Mitte.