Der Rote Faden

Von Rolf Mackowiak

Straßen

Straßen verbinden. Einerseits.

Straßen gibt es in der Musik zuhauf: Von dem „Highway to hell“ bis zur „Road to my survival“ ist so ziemlich alles vertreten, was sich mit Straßen und dem Leben in Verbindung bringen läßt. Nur Lucky Luke braucht keine Straße und reitet durch die Prärie in den Sonnenuntergang. Für uns nicht so Gezeichnete bleibt der Asphalt-Dschungel.

Straßen verbinden. Einerseits. Sie durchschneiden aber auch die Landschaft. Ich erinnere mich an die Idee von Georg Leber, damals Verkehrsminister, die nächste Autobahn-Auffahrt solle quasi um die Ecke liegen. Das klang schon damals eher bedrohlich.

Auf mich wirkt das Verhältnis der Menschen in Deutschland zum Auto ähnlich neurotisch wie die Waffenverliebtheit der Amerikaner. Der Slogan „Freie Fahrt für freie Bürger“ beschreibt das ganz gut. Vermutlich könnte man solcherart freien Bürgern eher die bürgerlichen Ehren­rechte (aktives und passives Wahlrecht) aberkennen als das vermeintliche Recht auf freie Fahrt. Das sich auf den Autobahnen ohnehin kaum ausleben läßt.

Die Funktion von Straßen sieht aber anders aus. Sie sollen Orte verbinden. Diesem Zweck wurde lange Vieles untergeordnet. Bäume, die die Bundes- und Landstraßen säumten, waren nur eine Gefahr für das Leben der Autofahrer und mußten oft weichen. Es gab aber mal eine Zeit vor dem Auto, und da waren andere Kriterien ausschlaggebend.

Wichtig waren Straßen auch, um große Gebiete  verwalten zu können. Der Straßenbau im Römischen Reich hatte daneben militärische Gründe. Legionen ließen sich leichter über Straßen dirigieren als durch unwegsames Gelände.

Neben den Straßen zwischen den Städten gibt es auch die Straßen in den Städten und sie verleihen oft der ganzen Stadt ein gewisses Flair. Ob es um die Boulevards in Paris oder die Wall-Street in New York geht, allein die Nennung setzt eine ganze Kaskade von Assoziationen frei. Dasselbe gilt für die Kanäle in Venedig, die ja Wasser-Straßen sind.

Dagegen wirken die gewohnten Straßen in unseren Städten fast ein wenig langweilig, obwohl das ziemlich ungerecht ist, denn auch da gibt es Kleinode, die teilweise ganze Stadtviertel prägen. Ich erinnere mich an die „Gänge“ in Lübeck, die schon etwas Besonderes haben. Auf den ersten Blick erkennt man nur einen Durchgang, hinter dem sich aber weitere Häuser befinden. Mobiliar oder ähnlich sperrige Gegenstände lassen sich allerdings nur zerlegt oder mittels Kran zu diesen Häusern transportieren. Da hat die Urigkeit der Wohnlage einen deutlichen Nachteil.

Der Charakter der Straßen hat sich im Laufe der Jahrzehnte deutlich verändern. Als Kind konnte ich noch ohne größere Sorge auf der Straße spielen. Heute ist das angesichts der Verkehrsdichte nur in wenigen Ausnahmefällen gefahrlos möglich.

Durch den Verkehr sind Straßen auch Quelle für die Belastung durch Schadstoffe, sei es direkt durch die Abgase der Fahrzeuge oder durch den Abrieb der Reifen usw. Eine Straße zu überqueren ist ohne entsprechende Einrichtungen wie Zebrastreifen oder Ampeln oft ein Wagnis, das nicht jedem zuzumuten ist.

Auch der mit dem Autoverkehr verbundene Lärm ist eine nicht zu unterschätzende Belastung nicht nur für die Passanten, sondern vor allem für die Anwohner. Die haben daneben noch das Problem, daß Fenster zur Straße zum Lüften denkbar ungeeignet sind.

Heute ist es völlig normal, daß vor Cafés und Kneipen Tische stehen. Als ich noch jünger war (quasi in der Urzeit) war das nicht so, und man braucht nur einige Jahrzehnte zurückzugehen, als die Straßen nur dem Verkehr dienten. Obwohl das in anderen Ländern anders war: die Piazza in Italien war und ist eine Erweiterung der Straßen, der nicht nur Verkehrs- sondern auch Lebensraum darstellt. Ein wenig dieses Flairs hat auch bei uns Einzug gehalten. Dagegen steht aber die Tristesse, die oft nach Schließen der Geschäfte in den Straßen der Innenstädte herrscht. Von Ausnahmen abgesehen wirken sie dann ziemlich verödet. Auf Aachen gemünzt: Der Vergleich von Pontstraße und der Adalbertstraße, vor allem des letzten Stücks zwischen Kugelbrunnen und St. Adalbert/Kaiserplatz zeigt diese Unterschiede sehr deutlich.

Das liegt auch daran, daß im Laufe der Zeit gewissermaßen „Funktionsviertel“ enstanden sind. Während früher Wohnen und Arbeiten noch oft einen räumlichen Zusammenhang hatten, wurden die Innenstädte zu reinen Verkaufsstraßen und –plätzen mit der entsprechenden Verödung der Innenstädte. Zwar versucht man mittlerweile, dies wieder aufzulockern, aber die Miethöhe in Innenstädten, besonders in einem attraktiven Umfeld, sind nur für wenige erschwinglich, so daß es da zu einer sozialen Trennung gekommen ist.

Die Auslagerung des Wohnens in die Außenbezirke oder noch weiter ins Land sorgt für wei­teren Verkehr und weiteren Straßenbau. Damit verbunden sind dann noch eine zu­neh­mende Versiegelung und Verdichtung der Böden, der der Artenvielfalt oft buchstäblich den Boden entzieht. Die Idee, statt in die Fläche in die Höhe zu bauen, hat zwar ihren Charme, dürfte aber die grundlegenden Probleme nicht lösen.

Viele der Probleme, die uns heute in den Städten begegnen, haben ihre Ursache auch darin, daß in der Verkehrspolitik viel zu lange der Schwerpunkt beim Individualverkehr beim automobilen Verkehr lag. Busse – meinetwegen, aber müssen Radfahrer und Fußgänger wirklich sein? Ich erinnere mich an eine Arbeit des Cartoonisten Sempé, in dem ein Kind auf dem Rücksitz eines Autos ausruft „Papa – ein Fußgänger!“

Ganz so selten und vom Aussterben bedroht sind die nicht, aber das Ringen um die Balance wird uns wohl noch eine Zeitlang erhalten bleiben. Wenn wir die Zeit angesichts des Klimawandels noch haben.