Der Rote Faden

Von Rolf Mackowiak

Kultur-Fragen

Deutschland, Land der „Dichter und Denker“ oder doch eher das der nicht ganz Dichten und Bedenkenlosen?

Ich habe vor einigen Tagen eine Nachricht gehört, die erst einmal ein wenig Unglauben bei mir auslöste. Es ging um den Kulturhaushalt in den nationalen Budgets von Frankreich und Deutschland. Während der in Frankreich im kommenden Jahr um etwa 9% steigen soll, wird er in Deutschland um 5,6% gekürzt. Angesichts der 100 Milliarden, die in die Bundeswehr investiert werden sollen, macht mich das umso fassungsloser. Deutschland, Land der „Dichter und Denker“ oder doch eher das der nicht ganz Dichten und Bedenkenlosen? Im voran­gegangenen Etat wurde noch triumphierend vermerkt, er stiege zum ersten Mal über 2 Milliarden Euro. Das war wohl nur ein Ausreißer und die Korrektur erfolgt prompt.

Es sei an die riesigen Probleme erinnert, unter der die Kulturbranche in der Zeit der Corona-Einschränkungen zu leiden hatte: Abgesagte Auftritte, insgesamt kaum Auftrittsmöglichkei­ten. Da wurden dann einige Förderprogramme aus dem Hut gezaubert, und das war es dann.

 „Kultur ist die Gesamtheit des vom Menschen Geschaffenen“ ist eine Definition, die mir brauchbar erscheint. Ein weites Feld also, das ich in der Kürze gar nicht vollständig beackern kann und will.

Also beschränke ich mich auf das Mögliche. Bezeichnend ist für mich, daß in Radio und Fernsehen eine eigene Sparte dafür besteht, mit arte sogar ein eigener Kultursender, dann noch übernational. Da wird Kultur also als etwas betrachtet, das von unserem Alltag getrennt existiert, zumindest nur teilweise in ihn hineinragt.

Wenn ich dann auf die eben zitierte Definition von Kultur zurückkomme, erscheint diese Trennung noch künstlicher. Was uns umgibt, gehört nun mal zur Kultur. Oft wird der Begriff auf „Hochkultur“ (Theater, Museen usw.) verengt. Es gibt im Deutschen ja den gängigen Begriff der „Kleinkunst“, unter dem so ziemlich alles subsumiert wird, was ersterer nicht – oder vermeintlich nicht – angehört. Dabei steckt in diesem Kleinen oft ganz viel Großes.

Aber da gerate ich an die Grenzen meiner eigenen Vorlieben. Nach obiger Definiton gehören Schlager also eindeutig zur Kultur, aber in meinem Verständnis ist diese Eindeutigkeit sehr fragwürdig. Bei aller für mich bestehenden Fragwürdigkeit muß ich aber anerkennen, daß es sehr viele Leute gibt, für die sie deutlich zur Kultur gehören. Da bin ich durchaus im Dissens, ich bin allerdings nicht arrogant genug, dieser Sparte die Kulturwürdigkeit abzusprechen. Es ist eben ein Teil der Kultur, der mich nicht anspricht, aber keiner zwingt mich, sie anzuhören. Zu meinem Bedauern ist das eine Sichtweise, die nicht alle teilen. Seit Smartphones in der Lage sind, überall jedwede Musik abzuspielen, liegt diese Entscheidung nicht mehr allein bei mir. Da wird in der Öffentlichkeit – oft in großer Lautstärke – alles Mögliche zu Gehör gebracht, was ich lieber nicht hören möchte.

Der Begriff Kultur wird oft auch als Verhaltensvorgabe verwendet. Da gibt es z. B. eine Diskussions-Kultur usw. Obwohl sich gerade in der manche ausgesprochen unkultiviert benehmen.

Um auf den Anfang dieses Beitrags zurückzukommen: Sie wird oft bei nötigen Etatkürzungen als erste ins Visier genommen. Das wirft die Frage auf, was uns die Kultur denn Wert ist. Die Crux dabei ist, daß es sich bei Bibliotheken, Schwimmbädern usw. um Leistungen handelt, die die Städte und Gemeinden anbieten können, aber nicht müssen. In Zeiten knapper Etats – und wann sind die nicht knapp? – fällt das Auge der Stadtkämmerer gern auf das Angebot der Bibliotheken. Braucht es wirklich Stadtteil-Bibliotheken oder genügt eine zentrale Einrich­tung? Da kommt dann notwendig die Frage auf, wie gut die einzelnen Stadtteile durch den ÖPNV an das Zentrum angebunden sind.

Die Einschränkungen durch Corona hat als erstes die Bibliotheken getroffen. Die Uni-Bibliothek hatte früher einen sehr praktischen Service, bei dem die aktuellen Tageszeitungen auslagen und von jedermann gelesen werden konnten. Das ist Geschichte; der Service wurde eingestellt. Da hat sich der Öffentliche Dienst sehr schnell und nachhaltig einen schlanken Fuß gemacht. Für mich ein Zeichen von Un-Kultur.

Das Programm in den öffentlichen Sendern, gerade im Fernsehen, hat sich in starkem Maße durchs Internet erweitert. In den Nachrichten wird gerne auf das entsprechende Medien­angebot im Internet hingewiesen. Mich ärgert das, denn ich habe keine permanenten Internetzugang, würde den auch  kaum dafür nutzen. Ich hätte selten die Zeit dazu.

Damit bin ich bei einem wichtigen Punkt. Kultur und alles, was damit verbunden ist, braucht Zeit und Muße. Beides kann aber nicht jeder aufbringen. Wer sich um Haushalt, Kinder­erziehung usw. kümmern muß, hat daür wohl oft gar nicht die Zeit. Daneben steht dann die Notwendigkeit, sich durch eine berufliche Tätigkeit das Leben zu sichern.

Ein anderer Punkt: Kultur kostet mich als Nutzer. Als Bezieher der Grundsicherung sind mir da sehr enge Grenzen gesetzt und ich bin umso mehr auf Angebote angewiesen, die meinen Etat nicht oder nur unwesentlich belasten. Das muß nicht unbedingt ein qualitativer Mangel sein, aber bestimmte Bereiche sind für mich eben nicht zugänglich.

Kommen wir zu einem Punkt, der durch eine Radiosendung mein Interesse weckte, nämlich die sogenannten Kulturschaffenden, also die Künstler. Deren soziale Lage ist oft alles andere als rosig. In dem erwähnten Bericht ging es speziell um Schriftsteller und es hat mich schon erstaunt, daß gerade sie noch das beste Auskommen haben. Was aber eben nicht bedeutet, daß ihre Einkommen auskömmlich sind. Kaum ein Schriftsteller/eine Schriftstellerin kommt ohne einen „Brotberuf“ aus. Was glanzvoll in Buchhandlungen ausliegt, reicht oft nicht, die Frau/den Mann zu ernähren. Dazu kommt der Druck der ständig neuen Angebote. Es dauert oft nicht einmal ein halbes Jahr, bis bestimmte Bücher in die Remittende abgelegt, also verramscht werden. Keine besonders berauschende Perspektive also.

In der Vergangenheit wurde die Kunst oft an den Höfen des Adels gepflegt und manche Künstler standen direkt in Diensten dieser Höfe. Diese Rolle fiele heute dem Staat zu, der sie aber in einer eher formalistischen Weise wahrnimmt. Soweit ich weiß, ist bei öffentlichen Bauaufträgen ein bestimmter Prozentsatz für „Kunst am Bau“ vorgesehen. Eine direkte Förderung kann dies natürlich nicht ersetzen.

Ich weiß von mir, daß nicht jede Kunstform jeden ansprechen kann. Bei Literatur und Musik bin ich empfänglich, andere Bereiche der bildenden Kunst dagegen sind mir weitgehend unzugänglich, bleiben mir fremd.

Aber genau dieses Vielgestaltige macht Kultur ja so spannend. In der Ausandersetzung mit anderen Vorlieben entsteht ja – wenigstens für mich – etwas Neues. Wie es Max Ernst einmal sagte: Kunst bildet nicht ab, sie macht sichtbar. Das Vertraute mag angenehm sein, berei­chernd ist es selten.