Mir ist erst vor geraumer Zeit bewusst geworden, dass mindestens zwei Drittel aller von mir gelesenen Bücher von Frauen stammen. Warum das so ist, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen.
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Mords-Frauen
Mörderische Frauen finde ich faszinierend – wenn es literarisch gedacht wird. Dabei geht es in erster Linie um Autorinnen, aber auch so mancher Täterin kann ich einen gewissen Reiz nicht absprechen. Befassen will ich mich aber mit den Schreibtisch-Täterinnen.
Mir ist erst vor geraumer Zeit bewusst geworden, dass mindestens zwei Drittel aller von mir gelesenen Bücher von Frauen stammen. Warum das so ist, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Vom Gefühl her lautet meine Antwort: Ich komme mit deren Sprache besser klar, fühle mich in ihr wohler. An einem schreibenden Ehepaar, die beide Krimis verfassen, möchte ich das deutlich machen. Faye und Jonathan Kellermann schreiben beide Krimis, die aber einen unterschiedlichen Charakter haben. Jonathan Kellermanns Protagonist ist der Kinderpsychologe Alex Delaware. Er wird von Zeit zu Zeit von der Polizei zu Rate gezogen. Ich bin mit diesem Alex Delaware nie so richtig warm geworden. Seine Rationalität führt bei mir zu einer distanzierten Haltung dieser Person gegenüber.
Anders dagegen die Hauptfigur in Faye Kellermanns Romanen. Ihre Hauptakteurin Rina Lazarus hat gewissermaßen „Fleisch an den Knochen“. Sie ist eine junge Witwe mit zwei Kindern im Schulalter. Mit ihren Kindern lebt sie in einer jüdisch-orthodoxen Gemeinde und lernt bei den Ermittlungen zu einem Mordfall ihren späteren Ehemann Peter Decker kennen.
Wenn man die Geschichten um dieses Paar verfolgt, bekommt man eine ganze Menge über die kulturellen Hintergründe des jüdischen Lebens in Amerika mit. Ihre Rina Lazarus ist für mich, bei aller Fremdheit, eine vertraute Person und nicht nur eine Gestalt aus Papier und Druckerschwärze. Während ihr Mann die eher rationale Position des Ermittlers repräsentiert, steht Rina Lazarus für eine, aus ihrem religiösen Hintergrund gespeiste, intuitive Seite. Beide ergänzen sich dadurch und die scheinbar undurchsichtigen Motive der Täter gewinnen Plastizität.
Eine andere mir liebe Person ist Sue Graftons Kinsey Millhone. Sie stellt sich in ihren Büchern auf der ersten Seite immer vor. Ganz wörtlich bringe ich das nicht mehr zusammen, aber in etwa heißt es: „Mein Name ist Kinsey Millhone, ich bin 34 Jahre alt, zweimal geschieden, keine Kinder. Ich arbeite als vom Staat Kalifornien zugelassene Privatdetektivin in Santa Teresa.“ Und irgendwann folgt dann bestimmt das Bekenntnis, dass sie eine begnadete Lügnerin sei – wenn auch ungern. Aber der Beruf…
Sue Graftons Romane haben eine Besonderheit. Ihre Titel folgen (in englischen Original, in der deutschen Übersetzung leider nicht) dem Alphabet: A is for Alibi, B is for Burglar usw. Millhone ist keine strahlende Heldin, sondern steht immer auch im Konflikt mit der Tücke des Alltags. Sie findet nie sofort einen Parkplatz und wenn sie sich in einen Mann verliebt, kann es durchaus mal der Täter sein, dem sie auf der Spur ist.
Eine ganz andere Richtung haben da die Krimis von Rita Mae Brown. Ihre Chefermittlerin ist nämlich die getigerte Katze Mrs. Murphy, zu deren Mittieren noch die Katze Pewter, der Welsh Corgi Tee Tucker und andere Tiere gehören (u. a. ein Opossum, Mäuse und Eulen). Alle Tiere um Mrs. Murphy haben eins gemeinsam: Sie halten die Menschen insgesamt für etwas bescheuert, weil sie zu viel denken und zu wenig leben. Die menschliche Hauptperson ist Mary Minor Haristeen, genannt Harry, von den Tieren einfach „Mom“ genannt. Die Kriminalfälle, in die sie immer wieder stolpert, kann sie nicht allein lösen, deshalb müssen die drei ihr regelmäßig gewissermaßen „zur Pfote“ gehen.
Sprachverliebt wie ich bin, gefallen mir die englischen Titel, die immer eine kleine Sinnverschiebung oder eine Alliteration enthalten. So wird aus dem religiös basierten „Rest in Peace“ ein „Rest in Pieces“ (Ruhe in Fetzen statt Ruhe in Frieden) oder es sind „Cats in Cahoots“ (Katzen, die unter einer Decke stecken) bzw. „Murder she Meowed“. Nicht immer gelingt es Brown, die Balance zwischen kätzischer Lebensklugheit und menschlichem Verhalten zu wahren. Dann sind die Tiere zu menschlich gezeichnet, um der Erzählsituation gerecht zu werden. Immer lesenswert ist aber das Nachwort von ihrer Katze Sneaky Pie Brown, deren Co-Autorin Rita Mae Brown angeblich ist. (Ihre Katze heißt übrigens wirklich so.)
Eine wieder in der Realität angesiedelte Person stellt die von Helene Tursten in ihren Romanen beschriebene Irene Huss dar. Sie ist Kriminalinspektorin in Göteborg, verheiratet mit dem Koch Krister, mit dem gemeinsam sie die Zwillinge Jenny und Katarina hat. Jenny sorgt immer mal wieder für Unruhe im Haushalt, weil sie sich entweder der Animal Liberation Front anschließt oder aus Liebe zu einem jungen Mann zum Skinhead mutiert. Sie entwickelt sich im Lauf der Romane und wird – sehr zum Entsetzen von Krister, der mit Leib und Seele Koch ist – zur Veganerin. Aber im Laufe der Zeit gleichen sich die beiden in der Hinsicht an – sie wird weniger dogmatisch, er nimmt Anregungen bezüglich des Kochens von ihr an. Eine Szene, an die ich immer mit Vergnügen denke, zeigt dieses Spannungsverhältnis. Irene Huss kommt nach einem ermüdenden Arbeitstag nach Haus und freut sich auf ein von Krister zubereitetes Essen. Sie starrt dann befremdet auf ihren Teller, auf dem sich nur „Grünzeug“ befindet und fragt: „Und?“ „Wie – und?“ „Na, das Hauptgericht.“ „Das ist das Hauptgericht.“ Es brachen schwere Zeiten im Hause Huss an, wird dieses Erlebnis kommentiert.
Ach ja: Irene Huss ermittelt natürlich auch, aber diese kleinen Einschübe aus ihrem Privatleben machen aus einem bloßen Kriminalfall auch ein Abbild der schwedischen Gesellschaft mit ihren Brüchen. Es fehlt nicht an Drogenringen, rechtsradikalen Gestalten und ähnlich sympathischem Gelichter, teils auch mit internationalen Verbindungen. Da ist es mitunter sehr hilfreich, dass sie früher schwedische Vizemeisterin im Judo war.
Ohne ihr Team ist ihre Arbeit nicht denkbar und da sind manche Konflikte angelegt. So erhält eine Kollegin von ihr aus dem Team heraus Fotomontagen, die sexuell sehr eindeutig sind. Auch da ist Irene Huss‘ Spürsinn gefragt und das ist nicht ihre einzige Baustelle im Team.
Gänzlich anders geartet sind die Romane von Joy Fielding. Darin geht es nicht so sehr um polizeiliche Ermittlungen als um die zentrale Figur des Romans. Immer handelt es sich um Frauen, die ein gänzlich normales Leben führen – wobei der Rahmen dieser Normalität sehr weit gefasst sein kann. In diese Normalität bricht dann ein anderer Mensch ein, und dabei kann es sich beispielsweise um eine Frau handeln, die der Hauptfigur eröffnet, sich ihren Mann quasi aneignen zu wollen.
Häufiger jedoch kommt die Bedrohung der Normalität aus dem persönlichen Umfeld. In dem Roman „Lauf, Jane, lauf“ erwacht eine Frau im Krankenhaus und hat keinerlei Erinnerung mehr an ihr Vorleben. Ein ihr völlig fremder Mann behauptet, mir ihr verheiratet zu sein – und ist es tatsächlich auch. Dieser Mann, ein Kinderarzt, nimmt sie mit und die Frau versucht verzweifelt, ihr Gedächtnis wiederzuerlangen. Das fällt ihr auch deshalb schwer, weil sie immer wieder mit Medikamenten sediert und von der für sie engagierten Pflegerin unter Kontrolle gehalten wird. Die Situation wird für sie immer aussichtsloser, da ihr Mann jeden ihrer Schritte vorauszuahnen scheint. Die Lösung ist überraschend, wirkt auf mich aber auch ein wenig konstruiert. Spannend geschrieben aber ist es und man fiebert mit der Frau, ob es ihr denn gelingt, das Gedächtnis zurückzugewinnen und dem häuslichen Gefängnis zu entrinnen.
Es gibt Romane, in denen die Ermittlerinnen mehr auf der wissenschaftlichen Seite der Ermittlungen stehen. Dafür stehen Autorinnen wie Tess Gerritsen, Kathy Reichs und Patricia Cornwell. Das interessante an diesen Autorinnen ist, dass sie das Metier der Forensik aus ihrer beruflichen Laufbahn kennen. Die beiden erstgenannten bzw. ihre Romanfiguren sind vielleicht aus den Krimiserien „Rizzoli & Isles“ bzw. „Bones“ bekannt. Ich halte mich da lieber an die Bücher, die naturgemäß vielschichtiger sind.
Mit der letztgenannten Patricia Cornwell habe ich allerdings meine Schwierigkeiten. Die Romane sind exzellent geschrieben, aber sie enthalten eine gewissermaßen metaphysische Komponente: Es gibt das Böse, vielleicht könnte ich auch sagen „den Teufel“ und er manifestiert sich in den Tätern, denen ihre Hauptfigur Kay Scarpetta auf der Spur ist. Dabei nervt mich etwas, dass dieses Böse sich am Anfang der Romane als beinahe allwissend bezüglich ihrer Ermittlungen präsentiert, nur um dann im Zuge der Ermittlungen auf ein zwar außergewöhnliches, aber menschliches Maß zurückgestutzt zu werden. Auch ist ihre Nichte Lucy eine Figur, der es für mich an Glaubwürdigkeit fehlt: Sie kann fast alles. Schon als Kind gelingt es ihr, Scarpettas Computer neu zu organisieren und das nur mit dem Handbuch als Ratgeber. Sie wird beim FBI zur Überfliegerin, beherrscht fast jedes Fluggerät und schießt wie der Teufel. Da ist es fast schon nebensächlich, dass sie auch noch lesbisch ist. Ein bisschen viel in einem Charakter. Aber es ist schon interessant zu verfolgen, wie Scarpetta mit der Liebe ihrer Nichte zu einer Frau umzugehen versucht.
Kathy Reichs Temperance Brennan ist da von etwas anderem Zuschnitt. Ihre berufliche Arbeit teilt sich in ihre Tätigkeit in Boston und dem kanadischen Montreal auf. Anfangs hat sie noch sprachliche Probleme mit dem Französischen kanadischer Prägung, aber sie gewöhnt sich im Laufe der Zeit ein. In ihrer Arbeit ist sie dabei ebenso hartnäckig wie akribisch. Benton Wesley ist die Person, die sie immer wieder in die seltsamsten Fälle hineinzieht. Als Person bleibt er wenig greifbar. Wie ein Deus ex machina taucht er immer wieder in Brennans Leben auf, um dann wieder mit ungenannten Aufträgen daraus zu verschwinden.
Tess Gerritsens Maura Isles ist die dritte in diesem Ermittlertrio. Wie bei den beiden vorgenannten Autorinnen gestalten sich ihre Arbeit und das Privatleben nie ganz konfliktfrei. Sie folgen dem Motto: Once bitten, twice shy (Etwa: Einmal die Finger verbrannt, beim zweiten Mal vorsichtiger.) So gesehen sind die drei „Schwestern im Geiste“. Im Vordergrund aber stehen die Ermittlungen, und auch Maura Isles kommt nicht immer ganz freiwillig zu ihren Fällen.
Ihrem Schreiben ist es zu verdanken, dass mir viele Begriffe aus der Forensik leicht über die Lippen gehen. Der Kitzel einer fremden Welt ist faszinierend, ich wünsche mir einen solchen Kitzel für mein Leben aber nicht. Aber wer fragt bei Krimis schon danach?