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Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Der folgende Beitrag enthält die Besprechung des Romans „Wenn ein Reisender in einer Winternacht“ von Italo Calvino, einem italienischen Schriftsteller.

Der Beginn zieht den Leser gleich in die Geschichte hinein. Der Leser (in dem Buch; einen Namen erfährt man nicht) kauft sich das neueste Buch von Italo Calvino mit dem eben genannten Titel und beschreibt, wie er sich auf die Lektüre vorbereitet.

Dann geht es los. Es beginnt wie ein Agenten-Roman: Ein einsamer Bahnhof, auf dessen Bahnsteig sich ein geheimnisvoller Koffer befindet. Weder über den Bahnhof noch über den Koffer erfährt man Näheres. Diese Neugierde bleibt auch ungestillt, da das Kapitel hier endet.

Der Leser (im Buch) ist genauso im Ungewissen und beginnt mit dem nächsten Kapitel. Nur – dieses passt so gar nicht zum Beginn des Romans; es wird eine ganz andere Geschichte begonnen oder fortgesetzt. Der Leser kommt zu der Überzeugung, dass es sich um eine Fehlbindung des Buches handelt und macht sich auf die Suche nach einem vollständigen Exemplar.

Damit ist auch der Rahmen des Romans skizziert. Diese Suche führt den Leser zu immer neuen Roman-Fragmenten, aber nie zu einer Weiterführung der Geschichte, die im ersten Kapitel (und den folgenden) angelegt ist. Nun könnte man zu der Überzeugung kommen, dass es doch einigermaßen ärgerlich ist, sich immer wieder auf neue Wendungen einzulassen, ohne je einen der Erzählstränge fortgesetzt zu finden. Wenn man sich aber auf die (Gesamt-) Geschichte einlässt, macht das ungemeinen Spaß. Mir hat besonders der eine Abschnitt gefallen, in dem es um einen alten Mann im Amazonas geht, der als einziger auf der Welt die wirklich neuen Geschichten erfindet, die dann von unzähligen Autoren in Buchform gebracht werden. (Was passiert eigentlich, wenn dieser Mann stirbt – gibt es dann keine neuen Geschichten mehr?)

So wie eben angedeutet, ging es mir mit jedem Kapitel: Was kam vor dieser (Teil-) Geschichte, was folgt ihr? Man ist als Leser nicht gezwungen, diesen Gedanken zu folgen, aber es verlockt doch sehr. Mich zumindest.

Mir fällt dazu als Parallele der Roman „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende ein, wo der „Held“ der Geschichte, Bastian Balthasar Bux, ja noch direkter in die Handlung hineingezogen wird.

Wer also Freude am Fabulieren hat, der ist mit Calvinos Roman bestens bedient. Lesen eben nicht als passives Erlebnis, sondern als Verführung, der eigenen Fantasie zu folgen. Ein Buch mit Mehrwert.

Wen meine Worte neugierig gemacht haben, den verweise ich auf einen Band mit Erzählungen von Calvino. „Herr Palomar“ heißt e schlicht und enthält mehrere seiner Kurzgeschichten, die sich alle um jenen Herrn Palomar drehen und die ebenso zum Schmökern und Nachdenken geeignet sind wie sein Roman.