Marianne Brandt (geboren 1.10.1893 als Marianne Liebe in Chemnitz; verstorben am 18.6.1983 in Kirchberg) war eine Künstlerin und später bedeutende Formgestalterin an der Bauhaus-Schule, deren Designentwürfe weltweit bekannt wurden - einige ihrer Prototypen werden nach wie vor (re-) produziert.
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Marianne Brandt
Marianne wurde 1900 in Chemnitz eingeschult und absolvierte die Grundstufe der Heinrich-Beck-Schule. Vor 1918 durften Mädchen nicht das städtische Gymnasium besuchen – Marianne konnte ihre schulische Ausbildung jedoch an einer höheren Privat-Mädchenschule fortsetzen.
Ab Herbst 1911 belegte Marianne diverse Kurse an der Freien Zeichenschule in Weimar und an der Gyps- und Naturschule als Studienvorbereitung. Ab 1913 studierte Marianne Malerei an der Großherzoglich-Sächsischen Hochschule für bildende Kunst in Weimar, zunächst in der Zeichenklasse, später auch im Bereich Bildhauerei. 1918 wurden erstmals einige ihrer Werke in einer Galerie in Chemnitz ausgestellt. Im Juni 1919 heiratete Marianne in Oslo (Norwegen) den norwegischen Maler Erik Brandt, den sie in einem ihrer Zeichenkurse kennen gelernt hatte, und nahm seinen Namen an. Bis 1920 hielt sich Marianne zusammen mit Erik in Oslo auf, die beiden teilten eine kleine Atelierwohnung. Im Anschluss unternahmen sie einige Studienreisen durch Südfrankreich und wohnten eine Zeit lang gemeinsam in Paris. 1922 kehrte Marianne zurück nach Weimar, um ihre Studien wieder aufzugreifen - ihr Mann Erik reiste jedoch zurück nach Norwegen. Die Ehe der beiden wurde 1935 geschieden.
Die 1920er waren eine Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs. Walter Gropius gründete 1919 das Staatliche Bauhaus, eine Kunstschule in Weimar. Am Bauhaus wurde die traditionelle akademische Lehre aufgehoben und durch individuelle künstlerische Bildungsansätze abgelöst. Auch die sonst üblichen akademischen Zugangsbedingungen wurden aufgehoben – jeder kreativ begabte Mensch sollte unabhängig von Geschlecht, Alter, Staatsangehörigkeit und Schulabschluss am Bauhaus studieren können. Nach ihrem Abschluss 1923 fühlte Marianne sich inspiriert von einer Bauhaus-Ausstellung. Sie beschloss, dort ein weiteres Studium aufzunehmen, und verbrannte ihre expressionistischen Zeichnungen und Gemälde.
Parallel zu den Materiallehre- und Gestaltungs-Vorkursen an der Bauhausschule begann Marianne ab 1924 eine Lehre in der Silberschmiede- und Metallwerkstatt. Da diese Lehre für Frauen nicht üblich war, durfte sie vorerst keine Gesellenprüfung ablegen. Marianne überwand jedoch die anfänglichen Schwierigkeiten: „Zuerst wurde ich nicht eben freudig aufgenommen: Eine Frau gehört nicht in die Metallwerkstatt, war die Meinung. Man gestand mir das später ein und hat dieser Meinung Ausdruck zu verleihen gewusst, indem man mir vorwiegend langweilig-mühsame Arbeit auftrug. Wieviel kleine Halbkugeln in sprödem Neusilber habe ich mit größter Ausdauer in der Anke angeschlagen und gedacht, das müsse so ein und ?aller Anfang ist schwer! Später haben wir uns dann prächtig arrangiert und uns gut aufeinander eingestellt.“. Marianne arbeitete sich in der Werkstatt ein und entwarf dort schon in ihrem ersten Jahr ihre weltweit bekannten Teekannen, Aschenbecher, sowie Tee- und Kaffee-Services. Mariannes Entwürfe entsprachen den Grundprinzipien der Bauhaus-Lehre: die Form der Gegenstände entsprach ihrer jeweiligen Funktion und war geeignet für serielle Produktion. Auf die Funktionsfähigkeit wurde viel Wert gelegt: „Keine Kanne ist aus unserer Werkstatt gegangen, die nicht tropffrei goss.“ Die Gebrauchsgegenstände waren nicht nur funktional, sondern auch materialgerecht und ästhetisch durchdacht, wobei die Schönheit der Gegenstände aus ihrer Funktion heraus entwickelt wurde. Diese ersten Entwürfe wurden zunächst in kleiner Serie in Weimar aus Silber und Messing produziert. Mariannes Tee-Extraktkännchen aus Silber und Ebenholz gilt auch heutzutage noch als Design-Ikone und steht für das Bauhaus – das Werkstück wurde von Marianne auf die Grundformen Dreieck, Quadrat und Kreis reduziert.
Neben ihrem Studium fuhr Marianne immer wieder für Arbeitsaufenthalte nach Paris. Bis 1933 war Marianne nicht nur in Deutschland und Frankreich, sondern auch in anderen Ländern Europas als Teil der Bauhaus-Avantgarde präsent – ihre Werke wurden auf vielen Ausstellungen gezeigt, und sie besuchte viele Vernissagen und Feiern.
Als die Bauhaus-Schule 1925/26 von Weimar nach Dessau umziehen musste, wurde die Metallwerkstatt mit der Beleuchtungsgestaltung des neuen Gebäudes beauftragt. Auch Marianne entwarf verschiedene Beleuchtungskörper, darunter Decken-, Schreibtisch- und Nachtleuchten. Gemeinsam mit ihrem Kommilitonen Hin Bredendieck organisierte Marianne die Zusammenarbeit mit den Produzenten Körting & Mathiesen (Kandem) in Leipzig und mit Schwintzer & Gräff in Berlin – sie handelten erfolgreich Verträge über die Fertigung von im Bauhaus designten Beleuchtungskörpern aus.
Bis in die fünfziger Jahre wurden die Entwürfe der Bauhaus-Studierenden, darunter auch einige Entwürfe Mariannes, aus preiswertem Material seriell produziert. Allein in den ersten vier Jahren der Produktion wurden mehr als 50.000 solcher Lampen hergestellt. Alle entworfenen Prototypen hatten eine einfache, geometrische Formensprache und repräsentierten mit ihrer schlichten Eleganz die Grundgedanken des Bauhaus. Ab dem Sommersemester 1927 wurde Marianne die Leitung der lichttechnischen Versuche zugewiesen. 1928-29 übernahm Marianne sogar die kommissarische Leitung der Werkstatt.
Gleichzeitig arbeitete Marianne im Bauatelier von Walter Gropius in Berlin. Im Atelier war sie mit Entwürfen für Serien- und Anbaumöbel für die Inneneinrichtung der Wohnhaussiedlung in Karlsruhe-Dammerstock beteiligt.
Aufgrund ihrer besonderen Begabung erlangte Marianne - als einzige Frau – am 10.09.1929 das Bauhaus-Diplom der Metallwerkstatt.
Ende 1929 verließ Marianne das Bauatelier und wurde von den Ruppelt-Werken, einem Metallwarenhersteller in Gotha, angestellt, wo sie bis 1932 die Leitung der Entwurfsabteilung „Kunstgewerbe“ übernahm. Marianne entwarf Prototypen für Gebrauchsgegenstände wie Brieföffner und Teewagen.
Zeitgleich zu der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland begann Mariannes Existenzgrundlage zu schwinden, ihre Werke galten als „entartet“ und sie blieb jahrelang arbeitslos. Wie viele andere KünstlerInnen tauchte Marianne gezwungenermaßen aus der Öffentlichkeit ab. Sie kehrte zu ihrer Familie nach Chemnitz zurück und widmete sich wieder der Malerei. Einige ihrer Skizzen, Aquarelle, Pastelle und Ölbilder gehören inzwischen zum Inventar der Neuen Sächsischen Galerie in Chemnitz. In klassischem Stil hielt Marianne Momentaufnahmen auf Leinwänden fest: Stillleben, Menschen ihrer Heimat, Landschaftspanoramen und – nach den Kriegszerstörungen – Trümmerlandschaften. Gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrer Schwester Johanna Liebe überlebte Marianne die Bombardierung von Chemnitz, die auch die Zerstörung ihres Wohnhauses zur Folge hatte. Die Familie siedelte vorerst zu Verwandten nach Frankenberg über. Nach Kriegsende versuchte Marianne notdürftig ihre Existenz in Chemnitz wiederaufzubauen und beteiligte sich an den anstehenden Reparaturarbeiten. Später engagierte Marianne sich in der Gewerkschaft, im Kulturbund und im Künstlerverband, und war auf Ausstellungen in ihrer Heimatstadt vertreten.
Marianne wurde 1949 als Dozentin an die Hochschule der Bildenden Künste in Dresden berufen. Bis Juli 1951 übernahm sie die Lehrangebote in den Bereichen Holz, Metall und Keramik. Im Anschluss arbeitete sie am Institut für Industrielle Gestaltung der Hochschule für Angewandte Kunst in Berlin-Weißensee. Ende 1953 reiste Marianne für einige Monate nach China, wo sie an der Organisation der Ausstellung „Deutsche Angewandte Kunst der DDR“ beteiligt war. Im September 1954 zog es Marianne erneut nach Chemnitz, wo sie sich in den darauffolgenden Jahren überwiegend mit Malerei und Plastiken beschäftigte.
Im März 1977 siedelte Marianne nach einem Krankenhausaufenthalt in ein Pflegeheim nahe Zwickau über, in dem sie 1983 verstarb.