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Tätowierungen in ihrem kulturhistorischen Kontext

 

Tätowierungen werden seit Jahrtausenden überall auf der Welt praktiziert. Indirekte und direkte archäologische Funde von Tätowierungen zeigen auf, dass sich das Tattoo-Handwerk in den unterschiedlichsten Regionen der Erde selbstständig und unabhängig von anderen Kulturen aus vielfältigen Motiven entwickelt hat. Umstritten ist, wo Tätowierungen schwerpunktmäßig entstanden sind.

Unter Umständen waren Tätowierungen einigen Kulturen schon vor rund 12000 Jahren bekannt, also schon vor der letzten großen Eiszeit in Europa. Ein möglicher Beleg dafür sind scharf gespitzte Feuersteine und Schüsseln mit Resten von Farbpigmenten aus dem Paläolithikum, die 1867 in der Grotte des Feés in Frankreich entdeckt wurden. Als weitere indirekte Belege von Tätowierungen können archäologische Funde prähistorischer skulpturaler Arbeiten herangezogen werden. Solche Fundstücke lassen jedoch keine klaren Schlüsse zu.

Die frühesten durch Mumienfunde nachgewiesenen Tätowierungen sind 5 1/2 Tausend Jahre alt: die 1991 in Südtirol entdeckte Mumie Ötzi weist mehr als 60 parallel verlaufende Striche an den Beinen und der Lendenwirbelsäule auf. Vermutlich wurde die Haut mit einer Knochennadel angeritzt und Kohlepulver in die Wunde gerieben – eine Technik, die heute noch in Teilen Afrikas und Indiens praktiziert wird. Forscher vermuten, dass es sich um eine Form der medizinischen Schmerztherapie handeln könnte – die Tätowierungen sind exakt entlang den traditionellen Akupunktur-Linien platziert.

Im mittleren Reich Ägyptens, etwa 2015 bis 1794 v. Chr., waren rituelle ornamentale Tätowierungen üblich. Im Gizeh-Museum in Kairo werden Tätowierungsinstrumente ausgestellt, die in Grabkammern aus dem 4. Jahrtausend v. Chr. stammen. Auf der 4000 Jahre alten ägyptischen Mumie der Priesterin Amunet wurden Tätowierungen gefunden. Auch die Mumie einer Prinzessin aus der 11. Dynastie Thebens (2000 v. Chr.), die 1923 in einer Gruft bei Luxor entdeckt wurde, war mit charakteristischen Motiven aus blauschwarzen Punkten und Strichen tätowiert.

Auf dem Ukok-Plateau im sibirischen Altai-Gebirge stießen Forscher 1990 auf die Eismumie einer skythischen Frau, die vor etwa 2400 Jahren gelebt hat. Ihre kunstvollen Schmuck-Tätowierungen von Vögeln, Hirschen und mystischen Tieren gaben Anlass zur Vermutung, dass sie zu Lebzeiten vermutlich Kriegerin oder Erzählerin von Stammesgeschichten war. Die Kulturtechnik der Skythen, einem Reiternomadenvolk im 8./7. Jahrhundert v. Chr., war wahrscheinlich verantwortlich für die Verbreitung von Tätowierungen nach Osteuropa, China und dem alten Persien.

Auf den japanischen Inseln stammen die frühesten Hinweise auf das Vorkommen von Tätowierungen aus dem japanischen Neolithikum (etwa 8000-200 v. Chr.).

Da sich jede Kulturgemeinschaft der Erde zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer Entwicklung selbstständig mit Tätowierungen beschäftigte, unterscheiden sich die klassischen Techniken des Tätowierens voneinander: Die Inuit nutzten Nadeln mit rußigem Faden, um die Haut zu durchstechen. In Neuseeland wurden Tätowierungen mit Holzinstrumenten, welche einem Meißel gleichen, unter die Haut geklopft. In Samoa gebrauchte man kammähnliche Hacken, die oft aus bearbeiteten Menschenknochen gefertigt wurden. In Japan entstand die sogenannte Tebori-Methode, bei der ein Nadelstock in die Haut getrieben wird. Tätowierungen auf Tahiti wurden mit Haifischzähnen oder spitzen Knochen gefertigt. Die Maya verwendeten Dornen und Kakteenstacheln.

Während der Antike galten Tätowierungen im Römischen Reich und in der griechischen Kultur als identifikationsstiftend – doch ihre Konnotation war oftmals nachteilig. Die Griechen nutzten „Stigma“ (griech. „Brandmal“, „Tätowierung“) als Markierungen für ihre Sklaven, die Römer verwendeten sie als Kennzeichnung von Legionären innerhalb der Armee, aber auch als Bestrafung für Verbrechen. Tätowierungen waren funktional und grenzten die Tätowierten aufgrund ihres sozialen Status von der Gesamtgesellschaft ab.  Es gab jedoch auch Tätowierungen als Kennzeichnung besonderer Lebensereignisse, beispielsweise als eine Art Trophäe für Soldaten nach einer gewonnenen Schlacht.

Im europäischen Christentum galt das Tätowieren als blasphemischer Akt, nachdem Papst Hadrian I. in dem Konzil von Calcuth in Northumberland 797 n. Chr. Tätowierungen zu heidnischen Bräuchen erklärte und ein Verbot gegen diese aussprach. Paradoxerweise waren Tätowierungen dennoch beliebt unter Frühchristen – viele entschieden sich für christliche Symbole wie ein Kreuz, ein Lamm, die Anfangsbuchstaben des Namen Christi oder einen Fisch. Pilger ließen sich als Andenken an ihre Reisen tätowieren, und generell waren solche Tattoos unter Reisenden beliebt: sie sollten eine gerechte Beerdigung sichern, falls jemand in fremder Umgebung ums Leben kam. Auch unter Kreuzrittern waren Tätowierungen gängig.

Das Zeitalter der Piraten, Seefahrer und Entdeckungsreisenden brachte einen Aufschwung der Verbreitung und Beliebtheit von Tätowierungen in Europa mit sich. Auch durch die europäischen Kolonialisierungsbestrebungen, vor allem in Nord- und Südamerika, wurden Tätowierungen wieder präsenter. Die europäischen Reisenden traten in Kontakt mit indigenen tätowierten Völkern, und Tätowierungen galten als wild und exotisch.

Der britische Seefahrer James Cook bereiste in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den Südpazifik. Bei einer Überfahrt nach Tahiti stieß Cook auf tätowierte Menschen, die ihn sehr faszinierten. Als Cook 1775 nach England zurückkehrte, wurde er vom tahitianischen Prinz Omai begleitet. Omai wurde aufgrund seiner zahlreichen Tätowierungen zu einer beliebten Sensation in den Adelshäusern Englands. Durch Omai etablierte sich der Begriff „Tattoo“, abgeleitet vom polynesischen Wort „tatau“ („kunstvoll hämmern“). Tätowierungen gewannen an öffentlichem Ansehen, auch unter Adligen. Diese ließen sich in der Regel jedoch nicht selbst tätowieren, sondern ließen Sklaven tätowieren, welche ihre Tätowierungen präsentierten. Zeitweise wurden tätowierte Menschen entführt und auf Jahrmärkten und in Teestuben als Attraktion zur Schau gestellt, und auch in Zirkussen traten Tätowierte auf.

Um 1840 wurden Tätowierungen auch in der westlichen Welt gesellschaftsfähiger – mehr und mehr Seefahrer und auch Kaufleute brachten Tätowierungen als eine Art Souvenir oder gar Erfahrungsabzeichen von Übersee-Reisen mit nach Hause. Auch die handwerklichen Tattoo-Techniken wurden übernommen, und Tätowierern wurden Plätze an Bord von Schiffen eingeräumt. In diesem Zeitraum wurden viele klassische Motive verbreitet, die nach wie vor beliebt sind, wie zum Beispiel Anker, Kompasse und Schiffe. Mit der Zeit entstanden Tattoo-Studios in Hafenstädten wie Hamburg und Amsterdam.

Tom Riley erfand 1890 eine elektrische Tätowiermaschine – somit wurde es einfacher und auch schmerzfreier, sich tätowieren zu lassen. Gleichzeitig wurden Tätowierungen günstiger - sie waren nun allen Gesellschaftsgruppen zugänglich, sie wurden massentauglich, weshalb ihre Beliebtheit in den oberen Gesellschaftsschichten rapide abnahm. Tätowierungen galten bald als anrüchig, und Kriminelle und Prostituierte, die Tattoos als bewusste Abgrenzung zu den oberen Gesellschaftsschichten trugen, prägten dieses Image.

Im Dritten Reich galten Tätowierungen als entartet. Menschen, die viele Tätowierungen besaßen, wurden sogar verfolgt. Gleichzeitig wurden die Gefangenen in Konzentrationslagern mit Häftlingsnummern markiert. Unter Soldaten der Waffen-SS war es üblich, sich seine Blutgruppe auf den Oberarm tätowieren zu lassen, um eine potentielle Transfusion zu erleichtern.

Die in der Nachkriegszeit neu aufkommenden mittleren und oberen Schichten lehnten Tätowierungen rigoros ab. Erst durch die Rock- und Motorrad-Kultur der 1950er und 60er Jahre in den USA wurden Tätowierungen wieder beliebter. In den 1970er Jahren ließen sich auch in Deutschland wieder vermehrt Menschen tätowieren, insbesondere Anhänger von Subkulturen, um sich von den vorherrschenden gutbürgerlichen Idealen abzugrenzen. Diese anfängliche Protesthaltung schwand, nachdem sich viele Prominente wie beispielsweise Musiker tätowieren ließen – Tätowierungen waren im Fernsehen und in Magazinen zu sehen und wurden so salonfähiger. Seit den 1980ern gelten Tätowierungen vor allem unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen als modern und angesehen. Spätestens seit den 1990er Jahren sind Tattoos eine weit verbreitete Modeerscheinung, und inzwischen haben sich der Stellenwert und die Aussagekraft von Tätowierungen geändert.  

Mitte der 1990er Jahre entstand in den amerikanischen Medien der Begriff „tattoo art“ – Tätowierungen wurden erstmals in Zusammenhang mit Kunst gesetzt. Seit der Entstehung dieses Begriffs öffnete sich das Kunstverständnis graduell. Im Fokus stehen nicht mehr die reinen technischen Fähigkeiten, sondern ästhetische Innovation, Kreativität und Exklusivität bei der Umsetzung eines Motivs. Aus diesem Kontext entstanden viele neue zeitgenössische Tattoo-Stilrichtungen. Zudem agieren viele TätowiererInnen mittlerweile nebenbei als MalerInnen oder GrafikerInnen.

 

https://fedora.phaidra.bibliothek.uni-ak.ac.at/fedora/get/o:7907/bdef:Content/get

https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/tattoos-vom-seefahrerkult-zum-massenphaenomen/1856134

https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/mode/taetowierungen_schoenheit_die_unter_die_haut_geht/index.html

https://www.spiegel.de/reise/fernweh/tattoo-kunst-auf-tahiti-der-ursprung-der-taetowierung-a-831949.html

https://www.aestheticart.de/2018/03/03/die-geschichte-des-tattoos-im-ueberblick/

https://www.geo.de/geolino/mensch/10421-rtkl-kulturgeschichte-warum-sich-menschen-taetowieren-lassen

https://www.mytattoo.com/de/blog/die-geschichte-der-tattoos/

https://tattoolos.com/tattoo-geschichte/

https://mystic-tattoo.com/geschichte-des-tattoos

https://swiss-ink-tattoo.ch/tattoo-geschichte/

https://invictus-tattoo.de/geschichte-der-tatowierung/