Der Rote Faden

Von Rolf Mackowiak

Bescheidenheit

Durchsetzungsfähigkeit und Bescheidenheit passen offenbar nicht so recht zusammen.

Bescheidenheit kann hinderlich sein. So jedenfalls meint es der Spruch „Bescheidenheit ist eine Zier / doch weiter kommt man ohne ihr.“ Lassen wir mal den grammatischen Fehler beiseite und widmen uns der Kernaussage: Ohne Bescheidenheit kommt man weiter.

Wer sich selbst zurücknimmt, läßt Raum für andere. Der wird oft genug auch begierig von Menschen eingenommen, deren Devise „Platz da, ich komme!“ ist. Durchsetzungsfähigkeit und Bescheidenheit passen offenbar nicht so recht zusammen.

Auch sprachlich macht die Bescheidenheit nicht viel her: sich bescheiden, also sich mit etwas zufriedengeben, steht nicht so hoch im Kurs. Wenn etwas bescheiden daherkommt, dann macht es nicht viel her, ist also so etwas wie ein Minimum dessen, was man erwarten kann. Eine bescheidene Auswahl an Waren lädt nicht zum Stöbern ein.

Wer sich selbst zurücknimmt, läßt Raum für andere. Das kann man auch positiv sehen: der Bescheidene versucht nicht, den anderen durch seine Präsenz zu erdrücken oder zu dominieren. Er läßt dem Gegenüber Gelegenheit, sich so zu präsentieren, wie es ihm angemessen erscheint. Einfacher gesagt: Er läßt sein Gegenüber gelten, und zwar ohne Wertung.

Es gibt aber auch eine Form der Bescheidenheit, die sich ins rechte (Rampen-) Licht setzen will, das „Understatement“. „Alles halb so wild“ oder „Nichts wird so heiß gegessen wie es gekocht wird“ sind entsprechende Redewendungen. Ein sprachliches „Downsizing“ also, aber augenzwinkerndst. Die Tatsache wird zwar anerkannt, in ihrer Bedeutung jedoch heruntergestuft. Wenn etwas „gar nicht übel“ war, dann war es wohl ganz gut.

Ein bescheidenes Auftreten vermittelt Seriosität – oder soll es wenigstens tun. Wer polternd daherkommt, kann dennoch Schwierigkeiten haben, sich Gehör zu verschaffen, weil die Form des Auftretens das eigentliche Anliegen in den Hintergrund treten läßt.

Ich denke da z. B. an die Aktionen der „Letzten Generation“, deren Vertreter sich auf der Straße festklebten. Die ganze Berichterstattung und damit die Diskussion wurde darauf reduziert. Von den dahinterstehenden Absichten wurde kaum noch geredet. In meinen Augen waren diese Aktionen ein Rohrkrepierer, weil sie die Diskussion nicht voranbrachten, sondern eher behinderten.

Allerdings ist zu beobachten, daß die Entwicklung mehr in Richtung Rabaukentum geht. In den sog. „social media“ gilt eher der Maßstab „lauter und greller“ als die zurückhaltende Darstellung, aber diese Tendenz ist nicht auf sie beschränkt.

Vielleicht bin ich da altersbedingt etwas altmodisch, aber wer sich mit solchen Effekten Aufmerksamkeit verschaffen will, ist mir schon zumindest suspekt. Die Frage, die ich mir in solchen Fällen stelle, ist ganz einfach: Welchen Informationswert hat das für mich?

Bin ich bescheiden? Manchmal, aber im Großen und Ganzen bin ich auch sehr von mir überzeugt, denn schließlich haben sich meine Ansichten über einige Jahrzehnte hinweg entwickelt. Das muß natürlich nicht bedeuten, daß ich damit in allen Belangen richtigliege. Es hat bei mir viele Jahre gedauert, das zu erreichen. Aber Selbstzweifel sind mir deshalb alles andere als fremd.

Ich habe dabei immer eine von Brechts Geschichten vom Herrn Keuner im Hinterkopf, der einmal auf die Frage, was er denn gerade so mache, die Antwort parat hatte „Ich plage mich sehr. Ich bereite meinen nächsten Irrtum vor.“

Das ist zwar recht nett formuliert und mit der Grundaussage, daß jede unserer Entscheidungen und Handlungen ein Irrtum bzw. Fehler sein können, stimme ich überein. Aber wenn ich mir selbst immer wieder in dieser Weise einen Hemmschuh anlege, ist das auch nicht besonders hilfreich. Da gilt es, eine richtige Balance zu halten zwischen der Überzeugung, das Richtige zu tun und der Einsicht, daß diese Überzeugung vielleicht auf Sand gebaut ist.

Diese Bescheidenheit vermisse ich bei manchen Politikern. Die Schuldenbremse, auf die Herr Lindner ja so obsessiv besteht und die es sogar ins GG geschafft hat, hat eine Geschichte, also einen Kontext. Da sollten sich die Entscheider doch einmal ernsthaft fragen, ob sie denn immer und für immer Gültigkeit haben kann. Es gibt ja heute schon die Ausnahme, sie in wirtschaftlich angespannten Zeiten auszusetzen.

Was Herr Lindner so gerne übersieht: Staatliche Ausgaben – auch wenn sie über Schulden finanziert werden – dienen unter anderem dem Schaffen von Sachwerten. Daneben ist aber auch die Existenz funktionierender Verwaltungs-Strukturen nicht zu unterschätzen. Schulen, Krankenhäuser, die Feuerwehr, Verkehrswege – alles Beispiele für Strukturen, ohne die eine moderne Gesellschaft nicht auskommt. Ob das auch immer so effizient wie möglich oder wünschenswert geschieht, steht auf einem anderen Blatt.

Die einfache Gleichsetzung von Ausgaben mit Schulden greift also nicht, wenn die Ausgaben für die Schaffung von Sachwerten dienen. Wie sehr die Vermeidung von Ausgaben uns heute auf die Füße fallen kann, läßt sich an dem maroden Zustand vieler Autobahnbrücken, dem Schienennetz der Bahn usw. ablesen. Da wurden vermeintlich Ausgaben vermieden. In Wirklichkeit wurde die Finanzierung notwendiger Arbeiten nur in die Zukunft verlagert. Darüber kann sich die nachfolgende Generation wirklich nicht freuen, hat sie doch neben den Folgen dieser Vernachlässigung die erwartbar höheren Kosten für die Beseitigung dieser Mängel zu tragen: Die Infrastruktur ist den Bach runter, aber wenigstens keine Schulden!

Ich weiß nicht, ob die Kürze einer Wahlperiode mit zu dieser Kurzsichtigkeit beiträgt. Wer nur für die nächsten 4 oder 5 Jahre vorausdenkt, übersieht leicht Tendenzen, für die diese willkürliche Stückelung der Zeit belanglos ist. Die Schulzeit ist meist länger als ein Jahrzehnt, und wenn dann nur kurzfristige Ziele ins Auge genommen werden, fehlt es irgendwann an bestimmten Ressourcen.

Oder es kommt zu anderen Fehlentscheidungen. In Schweden kehrt man jetzt zu Schulbüchern zurück, nachdem die weitgehend aus dem Unterricht verschwunden waren. Nicht immer ist das Neue auch das Bessere; beides sinnvoll zu verknüpfen könnte von größerer Effizienz sein.