Der Rote Faden

Von Rolf Mackowiak

Gewalt

Gewalt erzeugt eben immer nur neue Gewalt.

Gewalt hat viele Gesichter. Sie kann von der direkten physischen Gewalt bis zu subtileren Formen reichen, der sogenannten psychischen Gewalt. In welcher Form sie auch auftritt, sie dient dazu, andere Menschen zu schädigen und zu beschädigen und ihnen einen fremden Willen aufzuzwingen.

Der Gewaltbegriff unterliegt auch gesellschaftlichen Konventionen, die oft in die Form eines Gesetzes gebracht werden. Es hat lange gedauert, bis die Vergewaltigung in der Ehe eben auch als das gesehen wurde: Eine Durchsetzung sexueller Handlungen mit Gewalt oder deren Androhung, also einer Vergewaltigung.

„Man kann einen Menschen mit einer Wohnung erschlagen wie mit einer Axt“ (Heinrich Zille). Dies bezog sich auf die menschenunwürdige Situation in den sog. Mietskasernen Anfang des 20. Jahrhunderts in Berlin.

Der Begriff der Gewalt ist also nicht so einfach einzugrenzen. Für mich ist es z. B. durchaus eine Form von Gewalt, wenn den Empfängern von Bürgergeld pauschal Faulheit unterstellt wird und die Bezieher so unter psychischen Druck gesetzt werden, ganz nach dem biblischen Motto „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“ Mir fällt dazu eine andere biblische Quelle ein: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten“. Wie war das noch mal mit dem „C“ in „CDU“?

Ich kann mich noch gut an meine schockierte Reaktion erinnern, als vor Jahren in der „BILD“ auf der ersten Seite behauptet wurde, nur ein Bruchteil der Sozialhilfe sei eigentlich völlig genug, die Empfänger leisteten sich also auf Kosten der Allgemeinheit ein üppiges Leben. Ich hatte damals die Befürchtung, keine Idee – also auch diese – könne dumm genug sein, um in der Politik nicht ernsthaft erwogen zu werden. Diese Befürchtung habe ich allerdings auch heute noch oft, wenn mal wieder ein Politiker und ein Mikrofon aufeinandertreffen.

Heute geht es eben wieder um die Bezieher von Bürgergeld und im Schlepptau gegen Einwanderer. Ich würde mir wünschen, daß dieselben Politiker mal so explizit gegen die Akteure z. B. bei den Cum-ex-Geschäften wetterten. Da ist dem Staat – also allen Bürgern – von ach so honorigen Menschen ein Schaden von über 35 Milliarden zugefügt worden. Die Rolle des „großen Schweigers“ Olaf Scholz dabei ließ sich nicht abschließend klären.

Ich finde es durchaus gewollt, daß sich bestimmte Politiker da auf Beispiele beziehen, die bestenfalls eine marginale Rolle spielen. Als es um die sog. „Totalverweigerer“ ging, sprach man damit von 0,4 % der Bezieher von Bürgergeld. Diese Angabe ist allerdings eine Schätzung, da es statisch belastbare Zahlen nicht gibt. Eine wirklich akkurate Vorgehensweise!

Gewalt ist Unrecht, und in das sollen alle Mißliebigen gesetzt werden. Es kommt nicht auf Fakten an, sondern auf Stimmungen. Auch das ist Gewalt! Wie sehr das fruchtet, kann man nicht nur in den USA bei Donald Trump sehen; Viktor Orban und Recep Tayyip Erdo?an gehören in dieselbe Kategorie von Menschen, die zur Wahrheit ein nur instrumentelles Verhältnis haben. Und das sind leider noch nicht alle.

Massive Gewalt wird gegenwärtig in der Ukraine und im Gaza-Streifen sichtbar. Die abstrusen Begründungen für den Krieg – der ja „nur“ eine „militärische Sonderoperation“ sein soll -, also die Befreiung der Ukraine vom Faschismus usw. sprechen eigentlich für sich. Daß auch intelligente Menschen wie Sahra Wagenknecht ziemlichen Schrott denken können, ist angesichts ihrer Haltung kaum zu übersehen.

Gewalt wird auch im Gaza-Streifen massiv ausgeübt. Wenn man sich die Bilder aus der Region anschaut, sieht man größtenteils nur noch Ruinen. Selbst wenn es Israel gelingen sollte, die Hamas niederzuringen – es kann nur ein Sieg auf Zeit sein, da durch die vielen Toten auf palästinensischer Seite neuer Haß auf Israel zwangsläufig entstehen wird. Eine rationale Politik kann ich darin nicht erkennen. Schon der Angriff der Hamas auf Israel und die Geiselnahmen waren für mich ein Ausbund an Dummheit. Gewalt erzeugt eben immer nur neue Gewalt.

Aber es gibt auch subtilere Formen von Gewalt, die deswegen noch lange keine harmlosere Form darstellen. Sie wird oft auch als „strukturelle Gewalt“ bezeichnet. „Strukturelle Gewalt ist eine Form von Gewalt, die sich aus sozialen, ökonomischen oder politischen Strukturen ergibt. Sie kann sich negativ oder positiv auswirken und ist oft schwer zu erkennen und zu bekämpfen.“ heißt es in einer Broschüre der Bundeszentrale für politische Bildung.

Zu dieser strukturellen Gewalt gehören, um es mal ein wenig handlicher zu machen, die ungleichen Bildungschancen, die ungleiche Vermögensverteilung usw. Ein wesentlicher Punkt dieser Gewalt ist das Machtgefälle, das damit verbunden ist. Freiheit ist auch eine Frage der Finanzen. Wer einen Großteil seines Geldes und seiner Zeit auf den bloßen Lebensunterhalt verwenden muß, der hat notwendig weniger Zeit, sich um andere Belange zu kümmern.

In der letzten Zeit sind – mit einer mir unerklärlichen Verzögerung – zwei weitere Bereiche in den Fokus geraten: die sog. „häusliche Gewalt“, oft verbunden mit der „sexualisierten Gewalt“. Da galt wohl lange die Vorstellung, dies gehöre mehr in die private Schutzzone als in die Öffentlichkeit. Ähnlich schwer tun sich manche noch mit dem Begriff des Femizids, also der Tötung von Frauen allein auf Grund ihres Geschlechts.

Oft wurden diese Fälle von Gewalt als Einzeltaten angesehen. Aber aus der Häufung solcher Gewalttaten ergibt sich für mich doch ein Bedeutungsumschlag. Ich kann es jedenfalls nicht für normal halten, wenn täglich eine Frau solcher Gewalt ausgesetzt ist, in jedem dritten Fall mit tödlichen Folgen.

Es gibt eine begriffliche Verknüpfung, die ich für besonders irreführend halte, nämlich der sog. „hilflosen Gewalt“. Gewalt ist nie hilflos, auch wenn sie aus einer Situation der Hilflosigkeit entsteht. Da wird Gewalt grob verharmlost als etwas, das einem schon mal so durchrutschen kann.

Gewalt hat aber noch einen Aspekt, nämlich ihr Unterhaltungswert. Im Fernsehen laufen jede Menge Serien, die sich mit Gewalt befassen, die Krimis. Neu dazugekommen ist die Präsentation der „true crimes“, also der Berichterstattung über tatsächlich begangene Gewalt-Verbrechen, oft und gerne auch Mord. Worin die Faszination dabei besteht, kann ich nicht so recht nachvollziehen. Ich war selbst einmal Opfer einer Gewalttat; einen unterhaltenden Wert kann ich dieser Erfahrung beim besten Willen nicht beimessen.

Ist es der wohlige Schauer, daß es ja einen anderen Menschen getroffen hat? Wird dabei das Leid und Leiden der Opfer nicht leichtfertig ausgeblendet? Auch das ist in meinen Augen eine Form von Gewalt, die den Opfern zusätzlich aufgebürdet wird.