Der Rote Faden

Von Rolf Mackowiak

Brücken

Wer Brücken baut, schafft Verbindungen. Sei es räumlich oder sozial. Insbesondere letzteres erfordert oft mehr Anstrengung als der Bau einer realen Brücke. Alle Brücken hinter sich abzu­brechen bedeutet eine endgültige Abkehr von Vertrautem.

Brücken überwinden Lücken. Dabei gibt es Abstufungen, abhängig von der Weite der Lücke. Eine Betonplatte, die nur einen Graben überspannt, gehört dem Wort nach nicht dazu, wohl aber in der Funktion. Aber bei Brücken haben wir ja meistens etwas größere Distanzen im Sinn, wie bei der Golden Gate Bridge in San Francisco.

Wie elementar Brücken auch heute noch sind, zeigen die Beschränkungen für den Fernlast­verkehr z. B. in NRW. Das wohl Seltsamste, aber nicht wirklich Überraschende dabei: Die Mängel an den Brücken sind lange bekannt, teilweise seit Jahrzehnten. Getan wurde dennoch nicht viel.

Auch im Krieg in der Ukraine haben sie eine große Bedeutung. Wenn der Nachschub stockt, weil Brücken zerstört oder beschädigt werden, hemmt das das Kriegsgeschehen.

Der Papst trägt heute noch den Titel des „Pontifex Maximus“, also den des Größten Brücken­bauers. Auch wenn der Begriff ursprünglich nicht aus dem Christentum kam; da hat die Kirche entsprechende Begrifflichkeiten für sich okkupiert, wie so oft.

Es gibt verschiedene Bauformen, die sich aber in zwei Arten zusammenfassen lassen: Brücken, bei denen der Übergang von unten gestützt oder von oben durch Seile gehalten wird. Was wären Abenteuerfilme ohne eine Hängebrücke über dem undurchdringlichen Dschungel oder einem reißenden Fluß?

Wer Brücken baut, schafft Verbindungen. Sei es räumlich oder sozial. Insbesondere letzteres erfordert oft mehr Anstrengung als der Bau einer realen Brücke. Alle Brücken hinter sich abzu­brechen bedeutet eine endgültige Abkehr von Vertrautem.

Das Verbindende von Brücken steht meist mehr im Fokus der Wahrnehmung als ihre Form. Es macht ja schon einen Unterschied, ob ich den direkten Weg über eine Brücke nehmen kann oder einen meist deutlich längeren einschlagen muß, um das Ziel zu erreichen. Und wäre, um mal einen Extremfall zu erwähnen, Venedig ohne Brücken denkbar?

Ich erinnere mich an eine Brücke in der Nähe meiner Heimatstadt Oldenburg. Sie ist, verglichen mit anderen Autobahnbrücken, mit einer Länge von etwa 440 und einer Höhe von 30 Metern nicht so imposant. Auch der Fluß (ich schmeichle der alten Hunte), den sie überspannt, ist nicht so beeindruckend. Heh, das ist Norddeutschland! Alles über 5 m Höhe ist ein Berg! Aber genau deshalb hat man aus dieser Höhe einen beeindruckenden Blick über die Landschaft.

Einen Nachteil haben Brücken allerdings: Sie sind in die Luft, also in den Wind gebaut, und wer sich auf ihnen bewegt oder aufhält, muß bei stärkerem Wind mit einer gehörigen Abdrift rechnen. Unbeladene LKW und Caravan-Gespanne haben da oft mächtig zu kämpfen, um in der Spur und auf der Fahrbahn zu bleiben.

Wichtig waren Brücken auch für die Eisenbahn. Wie der Name schon sagt, läuft da Eisen auf Eisen und die geringe Reibung bedingt eine ebenso geringe Fähigkeit, Steigungen und Gefälle zu bewältigen. Da muß dann entweder eine Brücke die Verbindung herstellen oder ein Tunnel.

Meine nachhaltigste Erinnerung an eine Eisenbahnbrücke betrifft die Überführung über die Elbe in Hamburg. Wenige Minuten nach der Abfahrt vom Hauptbahnhof hatte die Lok einen Triebwerksschaden und wir mußten etwa 1 ½ Stunden warten, bis eine Ersatz-Lok zum Einsatz kam. Bis dahin gab es einen beschaulichen Blick über die Elbe bei Nacht.

Es gibt aber auch geistesgeschichtliche Brückenschläge. Besonders intensiv war dies in der Renaissance, in der, wie schon der Name andeutet, die Antike wiedergeboren werden sollte. Es gehört zu den Paradoxien der Geschichte, daß Europa ohne die arabische Welt von diesen Wurzeln weitgehend abgeschnitten worden wäre, da die Kirche deren Werke der Philosophie und Wissenschaften als „heidnisch“ ansah und vernichtete, wo ihr dies möglich war. Allein die Bibliothek von Cordoba soll über 400.000 Werke umfaßt haben, und viele Schriften griechi­scher und römischer Philosophen sind nur durch deren arabische Übersetzungen erhalten geblieben.

Der uns heute so vertraute Begriff Algorithmus geht auf den Namen des arabischen Mathema­tikers al-Khwarizmi zurück, die Algebra aus einem Titelwort (al-dschabr) seines Buches.

Ein sehr abseitiges Thema, mit dem sich der Psychoanalytiker C. G. Jung ausführlich beschäftigt hat, ist die Alchemie. Wenn ich mich richtig erinnere, vertritt er darin die These, es sei dabei weniger um eine stoffliche Verwandlung („Blei zu Gold“) gegangen, als um eine psychische.

Ein ähnliches Sujet behandelt Wolfgang Hildesheimer in seinem Buch „Marbot“. Es ist eine sehr überzeugende fiktive Biographie, die beim Lesen starke Zweifel an der Fiktionalität erzeugt. Ich war erst endgültig von dieser Fiktionalität überzeugt, als ich weder in der Enceclopedia Brittanica noch in den als Beleg angeführten Gesprächen mit Eckermann (Goethe) einen Hinweis auf die Person fand.

Auch Brücken, die scheinbar ins Nichts weisen, können auf der anderen Seite auf inter­essantem Terrain gegründet sein.