Der Rote Faden

Von Rolf Mackowiak

Bürgergeld

Wer über bestimmte Dinge nicht den Verstand verliert, hat keinen zu verlieren, meinte Kurt Tucholsky.

Nun soll es also kommen, das Bürgergeld. Oder wie Friedrich Merz meint, ein Hartz IV mit neuem Namen. So drückt er es zwar nicht direkt aus, aber die Richtung ist eindeutig: den faulen Säcken, die sich lieber alimentieren lassen als zu arbeiten, soll mal so richtig Dampf gemacht werden. Natürlich geht es dabei auch um die Lufthoheit über den Stammtischen.

Ich finde es immer wieder schön, wenn Menschen, die nie in die Lage kommen werden, bestimmte Leistungen in Anspruch zu nehmen, mir und anderen erklären, wie üppig man davon doch leben kann. Bei Friedrich Merz, dem Millionär und Spitzenmann – nicht nur der CDU, sondern auch als der Mann mit den höchsten Nebeneinkünften im Bundestag – stößt mir das besonders übel auf.

Ich frage mich bei solchen Ansichten immer wieder, was für ein Menschenbild diese Personen eigentlich haben. Da drängt sich mir sofort der Begriff der „sozialen Hängematte“ auf, in der sich die Empfänger der Grundsicherung fläzen und den schwer schuftenden Niedriglöhnern eine Nase drehen. Da fällt mir auch Gerhard Schröders Satz ein: „Es gibt kein Recht auf Faulheit.“ Das ist dieselbe Geisteshaltung, die mir auch bei Friedrich Merz und anderen CDU/CSU-Granden einfach nur noch auf den Geist geht.

Pikant an der jetzigen Debatte um das Bürgergeld ist der von der CDU präsentierte Vergleich zwischen einem niedrigen Arbeitseinkommen und Grundsicherung. Pikant deshalb, weil sich die CDU da auf eine Vergleichstabelle bezieht, die von der AfD stammt. Wer mit dem Teufel tanzt, sollte sich nicht wundern, wenn er nach Schwefel stinkt.

Was bei diesem Vergleich gern übersehen wird: Natürlich haben Beschäftigte im Niedrig­lohn-Bereich auch Anspruch auf ergänzende Sozialleistungen wie Wohngeld usw. Da wird es dann aber in einigen Fällen besonders absurd. Wie ich neulich in einem Fernsehbericht erfuhr, bekommt eine alleinerziehende Frau mit 2 Kindern zwar das Wohngeld für sich und die Kinder, es wird ihr aber auf die Grundsicherung für sich und die Kinder angerechnet. Eine Erhöhung des Wohngeldes bringt ihr de facto gar nichts. Da hat die soziale Hängematte also große Löcher, nicht nur finanziell, sondern auch in Bezug auf Folgerichtigkeit und Logik.

Warum wird eigentlich der Bezug von sozialen Leistungen so oft skandalisiert? Diese Menschen nehmen einfach ein Recht wahr, das ihnen zusteht. Ist es nicht der wirkliche Skandal, daß es offensichtlich nicht mehr als selbstverständlich gilt, daß ein Arbeitseinkommen zur Deckung des Lebensunterhalts plus Miete ausreicht? „Arbeit muß sich wieder lohnen.“ Dem kann man nur zustimmen, wenn man die Prämisse anders setzt: Ein Arbeitseinkommen, das eben genannte Voraussetzung nicht erfüllt, ist der wirklich asoziale Zustand.

Deutschland, eines der reichsten Länder der Welt, hat in der EU den größten Niedriglohnsektor. Auch das ein Skandal, weil mit dem Bürgergeld nicht einmal zaghaft an diesem Zustand gerüttelt wird.

Kommen wir zum Bürgergeld zurück bzw. zu dem, was daraus im Vermittlungsausschuß gemacht wurde: eine Farce. Ich möchte, ehrlich gesagt, gar nicht so genau wissen, was die entscheidenden Politiker von den Empfängern sozialer Leistungen denn so halten. Da scheint mir eine Haltung prägend zu sein, die aus vordemokratischen Zeiten stammt.

Aber eine solche Denkfaulheit hat in meinen Augen auch das Bundesverfassungsgericht gezeigt, als es Kürzungen des Arbeitslosengelds II bis 30% für grundsätzlich und grundgesetzlich zulässig erklärte, wenn ein Bezieher seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt. Ein Existenzminimum ist ein Existenzminimum ist ein Existenzminimum. Punkt. Wie man davon noch Abschläge machen kann, bleibt mir ein Geheimnis. Dafür muß man wohl wirklich Jurist sein oder eine ähnliche Schädigung des gesunden Menschenverstandes erlitten haben.

Bei den Sanktionen sieht es so aus, daß sie gerade einmal 3 % der Bezieher treffen. Diese marginale Gruppe ist also das entscheidende Moment, bei allen Beziehern der Grundsicherung die Daumenschrauben anzulegen. Das ist einfach empörend.

Und damit komme ich zu dem Menschenbild solcher Politiker zurück. Die argumentieren, mal offen, mal verdeckt, mit der abschreckenden Wirkung solcher Kürzungen. Das erinnert an das Mittelalter, in dem erst einmal die Folterwerkzeuge präsentiert wurden, bevor diese zur Anwendung kamen, weil diese fehlgeleiteten Menschen einfach nicht einsehen wollten, was ihrem Wohl zuträglich war.

Das Gegenbild zu einer solchen, im Kern menschenverachtenden Auffassung sind die ehrenamtlich Tätigen, Menschen also, die freiwillig und ohne Entschädigung ihre Kraft und Zeit in den Dienst der Allgemeinheit stellen. Sind das nur ausgeflippte Freaks oder sind sie nicht doch ein Beispiel für den urdemokratischen Ansatz, denen zu helfen, die dieser Hilfe auch bedürfen? Die beklagen es auch nicht so sehr, wenn sie in vielen Fällen Aufgaben übernehmen, die der Staat leisten müßte, sondern daß es dafür außer in Sonntagsreden kaum eine deutliche öffentliche Würdigung gibt.

Dann der Aufreger „Schonvermögen“. Von 60.000 Euro war die Rede, jetzt sind es „nur“ 40.000. Ganz ehrlich: Ich habe in meinem Leben noch nie über solche Summen verfügt, und das wird auch bei den wenigsten Beziehern der Grundsicherung der Fall sein. Auch Fachleute aus der Bundesanstalt für Arbeit bestätigen, daß es sich dabei eher um einen Phantomschmerz handelt, die politische Diskussion also an der sozialen Realität völlig vorbeigeht.

Betrachten wir eine andere bedürftige Gruppe: den Erben von Sach- und Kapitalvermögen. Da geht es, vor allem bei Sachvermögen, nach einer sehr antiquierten Werteinschätzung insbesondere von Immobilien zu. Tatsache ist: Wer erbt, wird von der Steuer weitgehend verschont. Wer Eigentum besitzt und Grundsicherung bezieht oder beantragt, darf nicht mit so viel Nachsicht rechnen. Da müssen eigene Vermögenswerte erst aufgebraucht, also für den Lebensunterhalt kapitalisiert werden. Wenn dann von dem Vermögen nichts mehr übriggeblieben ist, dann kann man sich in die „soziale Hängematte“ verfügen.

Wer zur Miete wohnt, ist damit längst noch nicht aus dem Schneider, denn es ist genau geregelt, wieviel Wohnraum man beanspruchen darf. Ist die Wohnung angeblich zu groß, muß eine kleinere, angemessenere Wohnung gesucht werden. Beim heutigen Wohnungsmarkt ein Kinderspiel!

Kapitaleinkünfte sind gegenüber anderen Einkommensquellen deutlich bevorzugt. Die Abgeltungs­steuer beträgt gerade einmal 25 %, während bei Einkünften aus gewerblicher Tätigkeit (nominell) deutlich härter zugegriffen wird, von Arbeitseinkommen ganz zu schweigen

Wer über bestimmte Dinge nicht den Verstand verliert, hat keinen zu verlieren, meinte Kurt Tucholsky. Da sieht es nicht gut aus für unsere Politiker. Aber vergessen wir darüber nicht, daß sie ja von vielen gewählt wurden. Haben wir Wähler wirklich ein so schwaches Urteilsvermögen?