Eine Gesellschaft lebt ja gerade davon, daß unterschiedliche Interessen bestehen und sich Menschen unterschiedlicher Meinung aneinander reiben. Sehr pointiert gesagt: Konsens ist langweilig, weil er einebnet.
Der Rote Faden
Von Rolf Mackowiak
Bundestagswahl
Nun stehen wir also wieder vor der Wahl. Aber welche haben wir? Mir kommt dabei ein Satz des Kabarettisten Volker Pispers in den Sinn: Fragen sie sich auch ständig, warum das kleinere Übel immer so groß sein muß?
Es ist ja ganz selbstverständlich, wenn ich in vielen Punkten mit der Partei (meiner Wahl?) nicht vollständig übereinstimme. Aber wenn ich von mir ausgehe, dann fiel es mir in den vergangenen Jahren zunehmend schwerer, mich zu entscheiden. Zum einen ist da der Umstand, daß man Parteiprogrammen (liest die irgendjemand?) nur bedingt trauen kann; da sind die Positionen der Spitzenkandidaten doch mitunter schon abweichend. Dazu kommen dann noch die möglichen Koalitionspartner, die ja auch ihre Vorstellungen im Programm der künftigen Regierung wiederfinden wollen. Also betrachte ich die Ankündigungen mit einer gewissen Skepsis.
Dann gibt es noch einen nicht ganz unwichtigen Punkt: Wir werden von alten Menschen regiert, und dazu auch noch überwiegend von Männern. Ich gehöre zu beiden Gruppen, aber allein das garantiert natürlich noch keine Übereinstimmung mit der politischen Haltung. Was das Alter angeht, kann ich nur vermuten, was jüngere WählerInnen davon halten. Aber das junge Familien andere Erwartungen hegen als ich, erscheint mir doch mehr als wahrscheinlich. Dennoch stellen Politiker ja den Anspruch, der Gesamtheit der Bevölkerung Rechnung zu tragen. Ich habe da so meine Zweifel, ob das gelingen kann. Woher beziehen denn Politiker entsprechende Kenntnisse?
Politiker sind notwendig keine Allrounder, ihre Kenntnisse sind vielleicht umfassend, aber eben nicht allumfassend. Vor vielen Jahren hörte ich von dem Journalisten und Kabarettisten Henning Venske eine interessante Szenenbeschreibung. Er sagte, er sähe es gern, wenn ein Politiker in einer Diskussion einfach aufstünde und sagte: „Das ist ein interessanter Gedanke. Darüber muß ich erst einmal nachdenken.“ Ich kann mir nicht vorstellen, dies wirklich zu erleben. In der täglichen Praxis ist es doch so, daß kein Politiker eingestehen könnte, bei einem Thema nicht sattelfest zu sein. Handelte ein Politiker entsprechend, hätte er vielleicht für kurze Zeit den Respekt der Wählerschaft, aber würde er zukünftig bei ihr Vertrauen erwecken? Ich bin da sehr skeptisch.
Auch meine Haltung dazu ist widersprüchlich. Auf der einen Seite erwarte ich ganz selbstverständlich ein entschlossenes Handeln von ihnen. Aber sobald eine Entscheidung mich in sehr direkter Weise selbst betrifft, wird es etwas komplizierter. „Allen Leuten wohlgetan ist eine Kunst, die keiner kann.“, lautet eine bekannte Binsenweisheit. Ist es aber nicht genau das, was von einem Politiker erwartet wird? Allen wohl und keinem wehe, das funktioniert in der Praxis einfach nicht, denn es gibt immer Interessengruppen, die zu einem Thema höchst unterschiedliche Ansichten vertreten und die für sich genommen gute Gründe für ihre Haltung haben. Die Bevölkerung ist eben nicht homogen und nicht einmal ein Heiliger könnte deren Interessen unter einen Hut bringen. Um wieviel weniger ein Politiker.
Wäre das überhaupt wünschenswert? Ich habe auch da massive Zweifel. Eine Gesellschaft lebt ja gerade davon, daß unterschiedliche Interessen bestehen und sich Menschen unterschiedlicher Meinung aneinander reiben. Sehr pointiert gesagt: Konsens ist langweilig, weil er einebnet.
Genau das ist ein Punkt, der mir meine Wahlentscheidung so schwer macht. Die Unterschiede zwischen den Parteien sind durch die lange Große Koalition eingeebnet worden. Spöttisch hat ein Journalist einmal gefragt, ob Olaf Scholz den wirklich Kanzlerin könne. Die lange Regierungszeit Angela Merkels hatte in meinen Augen eine sehr destruktive Komponente: die Ausschaltung widersprechender Meinungen. Es wirkt schon unfreiwillig komisch, wenn ausgerechnet Friedrich Merz zu Laschets Wahlkampf-Team gehört. Wer eigentlich noch? Mir fällt da spontan kein Name ein. Wofür steht Laschet, wenn nicht für ein ganz entschiedenes „Sowohl-als-auch?“
Ich wünsche mir als Wähler mehr deutliche Unterschiede, mehr Wahlmöglichkeit. Ich kann nicht erkennen, was Laschet und Scholz so grundlegend anders machen würden, sowohl im Vergleich miteinander als auch mit Angela Merkel.
Dann sind da ja auch noch die Grünen, die nach einem Stimmungshoch wieder in den Niederungen der Realität angekommen sind. Als irritierend empfand ich aber die Gewichtung der Aufregung, die einerseits die Plagiatsvorwürfe und andererseits das etwas seltsame Gebaren von Annalena Baerbock in finanziellen Dingen betrafen. Wie man eine Zahlung von mehreren Tausend Euro so einfach übersehen kann ist für mich als Bezieher der Grundsicherung nicht so ganz nachvollziehbar.
Die Heftigkeit der Angriffe auf Annalena Baerbock hat mich dennoch etwas überrascht, denn auch Herr Scholz hatte ja im Zusammenhang mit Wirecard keine so gute Figur gemacht, und war da bei Herrn Laschet nicht irgendetwas mit seiner Zeit an der RWTH Aachen?
Unbeschadet der Unebenheiten (wenn ich das mal nachsichtig so nennen darf) bei Frau Baerbocks Vita bzw. ihrem Konto wäre sie mir als Nachfolgerin von Frau Merkel lieber als die Herren Scholz und Laschet. Nicht, weil sie eine Frau, sondern weil sie jünger als ihre Konkurrenten ist.
Ihr wurde auch vorgeworfen, keinerlei Erfahrung in einem Regierungsamt zu haben. Na und? Einer Frau, die einen Haushalt mit zwei Kindern + Mann und ein Parteiamt bei den Grünen managt, mag ich entsprechende Fähigkeiten nicht einfach so absprechen.
Diese Unübersichtlichkeit spiegelt sich ja auch in den neuesten Umfragen wieder. Ich scheine nicht die/der einzige Wahlberechtigte zu sein, den das Angebot der Parteien insgesamt nicht unbedingt überzeugt.
Da bleibt mir am Ende wohl wieder nur die Wahl zwischen drei riesengroßen kleineren Übeln.