Der Rote Faden

Von Rolf Mackowiak

Chat GPT

Was würde passieren, wenn das System sich auf Texte von Nostradamus oder Erich von Däniken bezöge?

Zwei Sachen haben mich in dieser Woche durch die Penetranz ihrer Präsenz im Radio genervt: Die erste war die Tatsachen, daß Insekten nun in unserer Nahrung einen größeren Raum einnehmen können. Warum dafür auf WDR 5 am ganze Sendetag kein Entkommen vor diesem Thema möglich war, will ich erst gar nicht wissen. Das gewisse Kribbeln im Magen sollte nicht von Insekten stammen…

Die zweite betrachtet einen angeblichen Durchbruch bei der Künstlichen Intelligenz mit ChatGPT. Ich kann mich dabei nur auf das stützen, was mich über die Medien erreichte, aber meine generelle Skepsis gegenüber dem Thema KI hat sich dadurch nicht gewandelt.

Was macht dieses System? Es bekommt gewissermaßen ein Anforderungsprofil, an dem sich das Ergebnis der Anfrage orientiert. Ganz ähnlich verfasse ich meine Texte hier: Ich suche einen Anfangspunkt, und den verknüpfe ich mit meinem Wissen und entwickle daraus den Text zu einem Thema. Das bedeutet aber auch, daß mein Text keine statische Entwicklung ist, sondern durchaus dynamisch sein kann, oder einfacher gesagt: Je nach Tagesform sähe der Text an verschiedenen Tagen auch sehr verschieden aus, weil mir bestimmte Dinge in den Sinn kämen oder einen anderen Stellenwert einnehmen würden. Meine Antwort auf dieses Ausgangsthema ist also fließend, denn mitunter komme ich zu neuen oder auch nur neu formulierten Aussagen, die einen künftigen Text mit demselben Ansatz beeinflussen und ihn anders aussehen ließen.

Natürlich verfüge ich mit meinem Gedächtnis nicht über den Umfang an Daten, den ChatGPT verarbeitet. So gesehen bin ich im Nachteil. Aber wäre ChatGPT auch in der Lage, aus eigenem Antrieb neue Texte zu verfassen? Kann das System seine eigenen Texte auch einer kritischen Analyse unterziehen? Wobei dann schon interessant wäre, an welchen Setzungen sich diese Analyse und die darauf folgende Kritik orientierte.

Ich bin immer wieder erstaunt, wie leicht sich auch Menschen, die sich mit der Materie besser auskennen als ich, von der Leistung solcher Systeme blenden lassen. Natürlich ist es beeindruckend, was ChatGPT da leistet – aber es hängt natürlich auch stark davon ab, wie fundiert das in seinen Quellen steckende Wissen ist. Es hat ja schon einige Fälle gegeben, in denen die Auskünfte falsch bzw. unvollständig waren. Was würde passieren, wenn das System sich auf Texte von Nostradamus oder Erich von Däniken bezöge? Ob die Begeisterung dann noch so ungeteilt bliebe? Was ist mit Texten, die sich eher hermetisch geben, z. B. dem Dao de Ging oder bestimmten Gedichten? Kommen die in seiner Datenbasis überhaupt vor? Wer trifft die Auswahl?

Eine wichtige Frage, die ich mir stelle: Aus welchem Kulturkreis stammen die Texte, auf die ChatGPT zugreifen kann. Sind sie eher der westlichen Kultur entnommen oder kommen da auch andere Quellen zum Tragen? Meine jetzige Kenntnis läßt da keine Antwort zu. Wäre diese Orientierung tatsächlich in der Form einseitig, dann wäre es für mich schon fragwürdig, was das System produziert. Was ist mit Kulturen, deren Überlieferung nicht schriftlich fixiert und damit für das System unzugänglich sind?

Eine andere Frage, die sich mir aufdrängt, ist die der Gewichtung der Texte, d. h. gibt es sozusagen ein Rating für die Verläßlichkeit der Informationen oder werden sie von System alle als gleichwertig betrachtet? Wie verhält es sich bei Sachverhalten, bei denen es keine eindeutige Faktenlage gibt? Das System dient ja nicht dazu, die Richtigkeit irgendeiner Information zu bewerten, sondern nur eine Art Summe aus den ihm bekannten Fakten zu erzeugen. Was nicht als Eingabe-Daten vorliegt, kann auch nicht berücksichtig werden.

Ich müßte bestimmt nicht lange nachdenken, um noch weitere solcher Fragen zu finden. Das führt mich wieder zu einem Satz von mir zurück: Ohne Bewußtsein keine Intelligenz, auch keine künstliche.

Solche Systeme – früher „Experten-Systeme“ genannt – simulieren nur Intelligenz. Sie können ganz erstaunliches leisten – jedenfalls für den Bereich, für den sie geschaffen wurden. Bei allen anderen Belangen bleiben sie strohdumm. Jedes Kleinkind ist ihnen überlegen, denn es denkt und fühlt.

Aber zurück zu ChatGPT. Welche sinnvollen Anwendungen kann ich mir dafür vorstellen. Ein Punkt, der sicher nicht nur mir manchmal auf die Nerven geht: Die Unverständlichkeit von Gebrauchsanweisungen, die oft nur in einem ziemlich – sagen wir –  rudimentären Deutsch verfügbar sind, so daß die Lektüre mehr Fragen aufwirft als sie beantwortet. Wenn die Fähigkeiten des Systems den ersten Berichten entsprechen, wäre es doch sehr wünschens­wert, derartige Formulierungen an dieses System abzutreten; am Ende wäre mir dann auch egal, ob der Begriff KI da zutrifft oder nicht, wenn nur das Ergebnis stimmt.

Sicher würde es manchen Fan von Fernsehserien auch gefallen, eine Zusammenfassung des bisher Geschehenen zu erhalten, um auf dem Laufenden zu sein bzw. es wieder zu werden. Allerdings ist ChatGPT eben sehr auf Texte orientiert, andere Inhalte sind für das System nicht oder nur eingeschränkt erreichbar. Aber das ließe sich sicher bereinigen. Obwohl dann natürlich eine nicht ganz unwichtige Frage auftaucht: Wie sieht es in dem Fall mit dem Copyright aus? Anders gefragt: Darf das System einfach so auf diese Inhalte zugreifen oder sind da entsprechende Regelungen notwendig? Ich denke, die Produktionsfirmen und die Drehbuchschreiber wären über eine solche Vermarktung ihrer Inhalte nicht unbedingt glücklich.

Mit dem Copyright habe ich schon einen wichtigen Punkt erwähnt: Wem gehören die erstellten Texte? Den Firmen, die ChatGPT betreiben? Dem, der diese Texte angefordert hat? Und was ist mit der Textbasis, auf der ChatGPT basiert – sind die Texte in jedem Fall frei von Urheberrechten? Wie werden die Inhaber dieser Urheberrechte ggf. beteiligt? Als Anwalt würde ich mir schon mal die Hände reiben.

Für eine weitere Bewertung fehlen mir die sachlichen Grundlagen, aber ich bin gespannt, wie sich die ganze Sache anläßt.