Der Rote Faden

Von Rolf Mackowiak

Humor

Komik entsteht ja im Grunde daraus, daß sich die Dinge nicht so entwickeln wie geplant.

Ein gängiger Satz zum Humor lautet: „Humor ist, wenn man trotzdem lacht.“ Aber mir fällt dazu auch ein Zitat von Erich Kästner ein: „Nie dürft ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken.“ Beide Zitate zielen auf eine Situation ab, in der wir zum Schaden noch den Spott haben und auf unsere Reaktion. Also mitlachen oder keine gute Miene zum bösen Spiel zu machen, das ist hier die Frage.

Das hängt natürlich sehr von der Situation ab. Bei einem kleinen Mißgeschick kann ich mich natürlich leicht dem Lachen anderer anschließen. Ich erinnere mich eines Cartoons von Quino (Joaquín Salvador Lavado), in dem er eine Szene aus einem Film von Charlie Chaplin aufgreift. Charlie Chaplin macht sich da gerade mit Besteck über einen Schuh her, da es ihm an Lebensmitteln fehlt. In dem Cartoon sitzen die Zuschauer auf verschiedenen Rängen im Kino. Ganz oben die offensichtlich Reichen, die sich über die Situation köstlich amüsieren. Je weiter man nach unten blickt, desto mehr verändert sich die Reaktion der Zuschauer. Ganz unten sitzen die Armen, die eher sehnsuchtsvoll auf die Szene und den Schuh blicken. Was komisch wirkt, hängt also auch davon ab, wie nah einem eine solche Situation ist.

Es gibt also einen wohlfeilen Humor, der sich über Dinge amüsiert, die einen nie betreffen werden. Ein solcher Humor ist mir sehr suspekt, weil es ihm an Empathie fehlt. Ein Beispiel dafür sind Sendungen im Fernsehen, in dem die täglichen Mißgeschicke, die einem unterlaufen können, aufgespießt werden.

Das führt mich zu der Frage, was wir eigentlich als komisch empfinden. Komik entsteht ja im Grunde daraus, daß sich die Dinge nicht so entwickeln wie geplant. Die Realität zeigt dann ihren doppelten Boden. Die berühmte Szene mit der Bananenschale, auf der jemand ausrutscht, gewinnt noch an Komik, wenn der Versuch, dem zu entgehen, gerade dadurch grandios scheitert, daß jemand stattdessen auf den eigenen Schnürsenkel tritt, deshalb zu Boden geht und der Tücke des Objekts erliegt, wenn auch anders als gedacht.

Komisch wirkt oft unsere eigene Selbstüberschätzung. Wir glauben, eine Situation fest im Griff zu haben und müssen am Ende erkennen, daß dies eine zu optimistische Einschätzung war. Mir fällt dazu ein Sketch von Jochen Malmsheimer ein, in dem er die Aufstellung eines Schranks schildert, die nach dem Ende der Aktion einen Wohnungswechsel erforderlich macht – auch des Nachbarn.

Zum Glück enden nicht alle unsere Handlungen derart katastrophal. Aber schon, wenn der Nagel, den wir mit dem Hammer treffen, der eigene und nicht der in der Wand ist, ist das eine schmerzhafte Konfrontation mit der harten Realität.

Es macht aber schon einen Unterschied, ob solche Dinge uns selbst betreffen oder ob wir nur Zuschauer sind. Nicht umsonst wird die Schadenfreude als die reinste bezeichnet. Als Betroffener werde ich die Freude nicht im selben Maß empfinden wie ein unbeteiligter Betrachter.

Damit kommen wir zu einem wichtigen Punkt: Was witzig wirkt, muß deshalb noch lange nicht komisch sein. Humor kann auch eine dunkle Seite haben. Die sanftere Form ist die Ironie, deren dunklerer Bruder ist der Sarkasmus. Eine ironische Bemerkung ist nicht zwingend verletzend, eine sarkastische dagegen schon. Es ist schon ein Unterschied, ob meine Fehlleistung mit einem augenzwinkerndem „Du hast es wenigstens versucht“ quittiert wird oder einem „Daß ausgerechnet du das versucht hast…“, das ja meine Fähigkeit zur Bewältigung einer Situation grundlegend in Frage stellt.

Ich stelle mal eine Frage: Ist Putin komisch? Mir würde es schwerfallen, ihm dieses Attribut zuzu­schreiben. Aber wenn man einmal von seiner konkreten Handlung abstrahiert, wie sieht es dann aus? Ganz offensichtlich ist die Grundlage der „militärischen Sonderoperation“ (der Begriff allein ist bereits absurd, mißt man ihn an der Umsetzung) derart von der Realität entfernt, daß es auf eine tragische Art komisch ist – wenn man die Begründung ernst nimmt und die teilweise unfaßbaren Folgen für die ukrainische Bevölkerung für einen Moment außer acht läßt. Glaubt Putin selbst überhaupt an die Stichhaltigkeit dieser Begründung? Es fällt mir schwer, das zu glauben. Aber es gibt ideologische Verrückungen und Verrücktheiten, die aus der Geschichte bekannt sind, nehmen wir nur mal den Nationalsozialismus, die das nicht völlig ausschließen.

Wenn man also nur betrachtet, wie fern der Realitäten Putins Ansichten sind, ist das für sich genommen schon komisch, weil Putin sich im Irrealis bewegt. Aber leider hat er die Macht, seinen abstrusen Vorstellungen zu folgen und sie von seinem Militär ausführen zu lassen, so daß Heiterkeit das letzte ist, was sich bei mir einstellt.

Im Alltag ist der Humor geradezu unerläßlich. Ein humorvoller Umgang mit einer Situation wird beiden Seiten gerecht: Blöd gelaufen, aber eben nicht der Weltuntergang. Ich habe allerdings ein großes Problem mit einer bestimmten Sorte von Humor: die, die sich hervortut und den anderen der Lächerlichkeit preisgibt, so in der Art von „Ein mitleidiges Lächeln kennt kein Erbarmen“ (Stanislaw Jerzy Lec).

Eine andere Form von Humor, mit der ich überhaupt nicht zurechtkomme, ist ein platter Humor. Ich nenne ihn „Brachial-Humor“, wie er zum Beispiel in den Filmen eines Michael „Bully“ Herbig zum Ausdruck kommt. Da kommt dann Goethes Satz zum Tragen, getretener Quark werde breit, nicht stark.

Noch schlimmer wird die ganze Sache, wenn jemand mit aller Gewalt witzig sein will und dabei kläglich scheitert. Ich erinnere mich dabei an eine Sendung mit Helmut Karasek, in der er lang und breit erklärt, was einen guten Witz und vor allem einen guten Witze-Erzähler ausmacht, dabei aber auf ein Beispiel zurückgreift, das nur mäßig witzig ist und dann auch noch schlecht von ihm erzählt wurde. Er lieferte damit ein Paradebeispiel dafür, wie man es nicht machen sollte. Was ja seinen eigenen Witz hat.

Es gab in der „Titanic“ mal eine Rubrik, die sich mit Humorkritik befaßte. Es ist meines Wissens die einzige Zeitschrift, die sich diesem Thema gewidmet hat. Unübertroffen sind die „Leser-Briefe“, die das Genre umkehrten: Die Leser waren die Adressaten, nicht deren Verfasser. Der Humorkritik entstammt auch einer meiner Lieblingswitze, der eigentlich so gar nicht komisch ist und seinen Reiz erst mit der Zeit entfaltet: Zwei Männer treffen sich vor einem Fahrstuhl. Der eine stellt sich vor: „Gestatten, Müller“. Der Angesprochene denkt kurz nach. „Müller … Müller. Sind Sie nicht der kleine Dicke mit der Brille?“