Der Rote Faden

Von Rolf Mackowiak

Einwanderung

Deutschland braucht also Zuwanderung

Ich traute ja meinen Ohren nicht so recht, als ich die neuen Regeln für die Behandlung von  Flüchtlingen hörte. Offenbar sind die alten Zeiten zurück: „Deutschland ist kein Einwanderungs-Land“. Na ja.

Was mich am meisten schockierte: Auch nach Syrien und Afghanistan soll wieder abgeschoben werden. Hallo? Ist Assad jetzt plötzlich Menschenfreund geworden und haben die Taliban ihrer Unterdrückung der Frauen abgeschworen? Nein, da hat sich offensichtlich nichts geändert. Und in solche Länder wollen wir Menschen zurückschicken? Das ist nicht nur beschämend, es ist skandalös!

Wenn es finanziell nicht paßt, dann sind uns die Menschenrechte nicht mehr allzu viel wert.

Sicher ist nicht jeder, der an die Grenzen Europas klopft, auch verfolgt. Sieht man sich einmal die absoluten Zahlen an, dann relativiert sich das Problem. Alle in Deutschland lebenden Flüchtlinge stellen gerade einmal 2,8% der Bevölkerung. Dabei kommen die meisten dieser Asylsuchenden aus Syrien und Afghanistan. Eben genau die Staaten, in die wieder abgeschoben werden soll.

Hier ist jetzt ein kleiner Bruch, denn  ich konnte den Text aus gesundheitlichen Gründen nicht zeitnah weiterführen. Aber in den dazwischenliegenden 1½ Wochen hat sich auch nichts zum Besseren gewendet, im Gegenteil. Nach den Wahlen in Thüringen und Sachsen und dem guten Abschneiden der AfD hatte ich schon befürchtet, daß ein „Schäbigkeits-Wettbewerb“ in Bezug auf Flüchtlinge einsetzen würde. Dessen Umfang versetzt mich allerdings schon in fassungsloses Staunen. Die AfD fordert die Beschränkung der Leistungen auf „Bett, Brot und Seife“ und fast alle Akteure laufen dem hinterher. Welcher Ungeist hat die Politik befallen? Gilt Artikel 1 GG („Die Würde des Menschen ist unantastbar.“) nicht mehr für Asylsuchende und andere Flüchtlinge? Dieser Eindruck entsteht jedenfalls bei mir.

Ich habe ein wenig den Überblick verloren, wer denn nun die schärfsten Regeln fordert. Es ist auch nicht entscheidend. Es geht einfach um die Frage, wie human wir mit Menschen umgehen, die bei uns Zuflucht suchen. Die Tendenz ist gegenwärtig, so viele wie möglich von einer Einreise nach Deutschland abzuschrecken.

Dabei ist auch zu beklagen, daß sich die EU-Staaten da oft einen schlanken Fuß machen. Nach den Dublin-Regeln dürfte eigentlich kein Flüchtling mehr Deutschland erreichen, weil sie in anderen EU-Staaten Asyl beantragen könnten und können. Wir sind ja schließlich von „sicheren Drittstaaten“ umgeben. So weit die Theorie.

Die Pläne der Bundesregierung, Flüchtlinge schon an der Grenze zurückzuweisen, sind nicht unumstritten. Lassen EU-Recht und die Gesetze der Bundesrepublik das zu? Da gibt es keine einheitliche Meinung, auch unter Juristen.

Und die Nachbarländer, in die die Abgewiesenen ja zurückkehren müßten? Aus denen hört man wenig Begeisterung über Deutschlands Pläne. Österreich lehnt eine Rücknahme von Flüchtlingen strikt ab, ebenso Polen. Einzig Viktor Orbán gratuliert. Sollte da mancher nicht ins Grübeln kommen? Aber mit dem Denken ist das ja so eine Sache…

Damit kommt ein großes Manko bei der Einwanderungs-Politik zum Tragen: Es gibt keine wirkliches Konzept. Jetzt wird ein wenig bei den Grenzkontrollen geändert, vor kurzem sollte die Einwanderung von gut qualifizierten Menschen gefördert werden. Nun steht im Vordergrund, daß wir uns aussuchen wollen, wer ins Land kommt. Dagegen ist im Grunde nichts einzuwenden, unsere Nachbarstaaten verfahren da nicht viel anders. Aber nach welchen Kriterien da verfahren werden soll, ist mir auch weiterhin unklar.

Dazu kommt noch der sogenannte „demografische Faktor“. Es gibt eben immer weniger Geburten in Deutschland, so daß sich die Zahl der Bundesbürger immer weiter verringert. Deutschland braucht also Zuwanderung, um z. B. im Sozialsektor funktionsfähige Strukturen zu erhalten. Ob die Politik dies schon in vollem Umfang realisiert hat, erscheint mir doch eher zweifelhaft. Langfristige Planungen werden durch die vielen unterschiedlichen Wahltermine nicht eben gefördert. Genauer gesagt: der zeitliche Horizont ist bei vielen Entscheidungen einfach zu eng.

Dazu kommen dann noch Ereignisse wie der Anschlag in Solingen, durch die ein rationaler Umgang mit der Thematik noch erschwert wird, weil sich der Blickwinkel verengt. Kann man es den Herkunftsländern wirklich verdenken, daß sie nicht sehr erfreut darüber sind, Menschen, die in Deutschland kriminell gehandelt haben, wieder bei sich aufzunehmen?

Was mich bei der gesamten Diskussion besonders stört: Da wird das – teils kriminelle – Fehlverhalten Einzelner einer ganzen Gruppe zugerechnet. Das ist nur Wasser auf die Mühlen der AfD und wird deren Erfolge bei Wahlen sicher nicht verringern. Thüringen ist der erste Test darauf.

Oft steht die Behauptung im Raum, das Thema Einwanderung brenne den Menschen nun einmal auf den Nägeln. Wirklich? Für meinen Alltag ist dieses Thema jedenfalls völlig nebensächlich. Da interessiert es mich wesentlich mehr, wie sich die Preise entwickeln. Da ja für 2025 schon eine Nullrunde beim Bürgergeld angekündigt ist, haben sie wesentlich mehr Einfluß auf mein Leben.

Auch bin ich der Meinung, es ist deutlich wichtiger, ob die AfD mit einer Sperrminorität bestimmte Entscheidungen blockieren kann. Sicher ist die Frage der Einwanderung – oder wie es heute ja oft gesagt wird, der „irregulären Einwanderung“ – nicht unwichtig. Aber sollte sich die Aufmerksamkeit nicht mehr auf die hier Lebenden konzentrieren? VW kündigt an, die Zahl der Beschäftigten zu verringern und evtl. auch Werke zu schließen. Hat das nicht wesentlich mehr Konsequenzen für die Wirtschaft? Ist die Tatsache, daß ca. 21% der Menschen in Deutschland in Armut leben bzw. von Armut bedroht sind, nicht von größerer Wichtigkeit? Wie steht es um die Bildungschancen, wie um die Verteilung von Armut und Reichtum?

Das sind doch Baustellen, auf denen noch Einiges zu tun ist.