Die Zukunft kommt – ob wir wollen oder nicht.
Der Rote Faden
Von Rolf Mackowiak
Zeitläufte
Was bedeutet dieser etwas aus der Mode gekommene Begriff konkret? Da hilft mir das Internet aus: „ein mit bestimmten Ereignissen erfüllter Zeitabschnitt“. Das ist nun eine sehr allgemeine Definition und trifft auf jeden Zeitraum zu. Aber die Formulierung „mit bestimmten Ereignissen“ grenzt es ein wenig ein. Es geht also um Ereignisse, die in einem Bedeutungs-Zusammenhang stehen.
Wenn ich jetzt den Begriff „Ampel-Koalition“ erwähne, dann ploppen bei mir noch ein paar andere Begriffe auf. „Handlungsunfähigkeit“ ist so einer, denn wenn ich an die Regierungszeit Olaf Scholz´ denke, ist das der prägende Eindruck. Eine sich gegenseitig blockierende Koalition von Politikern, die wahrscheinlich keinen gemeinsamen Verein gründen würden. Warum mußte es dann gleich eine gemeinsame Regierung sein?
Erinnern Sie sich noch an die ersten Fotos der Hauptbeteiligten? Tenor: Wie haben uns alle lieb und wissen was wir wollen. Ersteres ist schon fragwürdig, letzteres unwahrscheinlich.
Es mangelt dieser Regierung vor allem an gemeinsamen Zielen. Die Koalition beruht auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, und da wurde in der politischen Bruchrechnung reichlich gekürzt.
Herr Lindner, seines Zeichens Finanzminister, will – nach seinen Worten – die kalte Progression deutlich verringern. Und es geht ihm natürlich um den Mittelstand. Nur passen seine Pläne so gar nicht zu diesen Zielen. Die größten Gewinner seiner Steuerpläne wären Singles mit einem Monats-Bruttoeinkommen von 8.000 €. Da liegt die Steuerersparnis bei 500 €. Schon eine Familie mit zwei Kindern hat bei demselben Einkommen nur 400 € Ersparnis – bei deutlich höheren Ausgaben. Nicht sehr familienfreundlich. Für Menschen, die weniger verdienen, fällt die Ersparnis noch knapper aus.
Ein anderer Blickwinkel. Wie steht es um den Industriestandort Deutschland? Die Ankündigung von Intel, die in Magdeburg geplante Chip-Fabrik, deren Bau mit bis zu 10 Milliarden Euro gefördert werden sollte, frühestens in zwei Jahren in Angriff zu nehmen, stellt ihm kein gutes Zeugnis aus. Da wird aus dem Leuchtturm-Projekt wohl eher ein Glühwürmchen.
Eine Hoffnung war, damit etwa 3.000 neue Arbeitsplätze zu schaffen. Jeder dieser Arbeitsplätze würde dann mit etwa 330.000 € gefördert. Wie sagt es der Volksmund: Dafür muß eine alte Frau lange stricken.
Und warum muß ein Weltkonzern wie Intel überhaupt bei seinen Investitionen gefördert werden? Nun, die Geschäfte von Intel gehen nicht besonders gut, aber das muß dann doch nicht der deutsche Steuerzahler ausgleichen. „Viel hilft viel“ ist eine Devise, die nur selten wirklich zutrifft.
Eines der medial fast unvermeidlichen Themenfelder ist die Einwanderung, oft als „irreguläre Einwanderung“ apostrophiert. Aber wie stellt sich das Thema nüchtern betrachtet dar? Zum einen wäre da die Tatsache, daß knapp zwei Drittel der Zuwanderung aus EU-Staaten erfolgt. Gerne vergessen wird in diesem Zusammenhang, daß es ja auch eine Abwanderung gibt. Der Saldo zwischen Zu- und Abwanderung lag 2023 bei etwa 660.000 Personen. Die Zahl der Asylanträge lag von Januar bis August 2024 bei etwa 174.000. In Prozenten ausgedrückt: Durch Migration erhöhte sich die Bevölkerungszahl um etwa 0,8 % (2023), durch Asylsuchende um etwa 0,2 % (2024). Wer darin eine „Zuwanderungswelle“ erkennt, hat entweder sehr scharfe Augen oder einen verzerrten Blickwinkel.
Es gibt zu dem Thema ja nun wirklich jede Menge Ideen, die nicht unbedingt problemorientiert sind. Da ist aktuell die Bestrebung, Flüchtlinge schon bei der Einwanderung quasi abzufangen bzw. an der Grenze zurückzuweisen. Das ist rechtlich aber nicht unproblematisch. Besonders abstrus finde ich die Idee, die Prüfung auf Asyl in ausländische Staaten zu verlagern. Daran ist schon Großbritannien gescheitert. Warum es Deutschland da besser gehen sollte, erschließt sich mir nicht.
Wir leben zweifellos in interessanten Zeiten. Die letzten Tage standen stark unter dem Eindruck der Überschwemmungen, die vorwiegend das umgebende Ausland betrafen. Was mich dabei besonders nachdenklich macht: Es braucht nur etwas so Alltägliches wie Regen, wenn er in nicht alltäglichen Mengen fällt, um unsere Strukturen in Bedrängnis zu bringen. Die entstandenen Schäden sind ja teilweise immens.
Es gab im Fernsehen viele Beispiele für die Folgen der Überschwemmungen. Wir werden auch sonst immer auf dem Laufenden gehalten. Mir ist im Laufe der letzten Jahre immer häufiger aufgefallen, daß sich solche Berichte in zwei Punkten sehr ähnlich sind. Wenn ein Reporter vor Ort ist, steht er bestimmt am Rand des Wassers oder wenigstens mit einem Stiefel darin. Ebenfalls fast unvermeidlich sind dann Kurzinterviews mit Betroffenen. Wissen wir dadurch wirklich mehr? Für mich ist das eher der Versuch, die Berichte authentischer wirken zu lassen, ohne daß ich wirklich mehr über die Situation erfahre.
Ein Begriff, den ich in meiner Programmzeitschrift sehr häufig finde, ist der der „Doku-Soap“. Was denn nun? Dokumentation oder Schauspiel/Schaustellung? Warum diese pseudo-dokumentarischen Formate einen so großen Programmanteil haben, ist mir unverständlich. Sachliche Information erwarte ich davon jedenfalls nicht.
Aber auch andere Sendungen bedienen sich dieses Formats. Kaum eine Sendung über historische Stoffe, die ohne solche Spielszenen auskommt. Sicher soll das den Stoff „lebendiger“ machen; das ist aber nicht ohne Tücken. Schon Geschichtsschreibung hat oft ein interpretierendes Moment. Die Umsetzung in solche Spielszenen verstärkt diesen Aspekt noch. Bei mir bleiben da immer Zweifel, ob diese Szenen durch die historischen Quellen gedeckt sind.
Die Frage, ob wir aus der Geschichte lernen können, ist ja nicht ganz neu. Mir erscheint der Gedanke doch sehr zweifelhaft, da sich geschichtliche Ereignisse nicht wirklich wiederholen, sonder nur Ähnlichkeiten haben. Die aber sind meist nicht groß genug, um daraus Folgerungen für die Gegenwart abzuleiten. Da sollten wir uns doch lieber auf die Gegenwart und deren Herausforderungen konzentrieren.
Bei all dem fällt mir ein Satz von Søren Kierkegaard ein: „Das Leben kann nur in der Schau nach rückwärts verstanden, aber nur in der Schau nach vorwärts gelebt werden." Der Blick zurück kann also hilfreich sein, aber wir dürfen nicht den nach vorne vergessen. Die Zukunft kommt – ob wir wollen oder nicht.