Der Rote Faden

Von Rolf Mackowiak

Flüchtlinge

Gut integriert, dann noch ein fester Arbeits- oder Ausbildungsvertrag – egal! Ausländer! Und die sollen gefälligst im Ausland bleiben! Wozu gibt es das sonst?

„Pushback“ ist also das Unwort des Jahres, und es hat viel mit dem Thema Flüchtlinge zu tun. Es bezeichnet ja die Gewalt, die ihnen angetan wird, um sie von einer illegalen Einreise in den EU-Raum abzuhalten. Aber bei meiner Wortwahl wird es für mich schon schwierig. Denn dieses „illegal“ bringt ja unvermeidlich sein Gegenteil mit ins Spiel. Und da wird es noch schwieriger. Denn es gibt diese legale Möglichkeit für die Flüchtlinge faktisch nicht. Das ganze Handeln der EU zielt darauf ab, Flüchtlinge möglichst gar nicht erst an deren Grenzen gelangen zu lassen. Da paktiert man dann auch notfalls mit demokratischen Lichtgestalten wie Erdogan oder Viktor Orban.

Was bei dieser sehr eurozentrischen Sicht leicht übersehen wird: Die meisten Flüchtlinge gibt es nicht in Europa, sondern in Afrika, Lateinamerika etc. Das gerät aber bestenfalls dann in den Fokus des öffentlichen Interesses, wenn sich z. B. Menschen aus Südamerika über Mittel­amerika auf den Weg in die USA machen und an den dortigen Grenzen stranden. Oder wenn sie in die spanischen Enklave Ceuta drängen. Oder …

An dieser kurzen Aufzählung ist leicht zu sehen, wie verengt der Blick auf die europäischen Grenzen ist. Und wie beschämend.

Um einmal den Rahmen etwas enger zu setzen: In dem immer wieder so hochgelobten Grundgesetz findet sich an prominenter Stelle der schöne Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Des Menschen. Nicht: des deutschen Menschen. Diese Versicherung der Würde ist also universell. Was haben sich die Väter des Grundgesetzes (dessen Mütter erinnerte man sich erst nach einer gehörigen Schamfrist) bloß bei diesem Unfug gedacht? Irgendso ein Ausländer soll dieselbe Würde haben wie ich? Da kann ich ja gleich AfD wählen.

Ja, das Grundgesetz ist so unbequem. Es ist keine Schönwetter-Verfassung, sondern eine für alle Jahreszeiten und Gelegenheiten. Auch wenn sich das Gebot der Gleichberechtigung von Mann und Frau erst in Artikel 3 findet. Da könnte man schon ins Grübeln kommen…

Bei der Abfassung dieses Beitrags ist mir ein Bild wieder vor Augen gekommen, das zur Zeit seiner Veröffentlichung große Betroffenheit auslöste. Das Bild eines toten Kindes, das an den Strand gespült wurde, nachdem ein Boot mit Flüchtlingen im Mittelmeer sank.

Aber hat diese kurze Betroffenheit die Haltung zum Thema Flüchtlinge wirklich nachhaltig verändert? Ich glaube es nicht. Bei allen Aktionen zum Thema Grenzschutz etc. ging und geht es in erster Linie um Abschreckung und Abwehr. Mich erinnnert das an die Versuche, Vögel von Äckern und Feldern fernzuhalten. Der nette Begriff  dazu lautet „Vergrämung“. Genau das versucht man auch mit Flüchtlingen.

Oft wird dem Wort „Flüchtling“ noch eines dazugesellt, und es ergibt sich das Wort Wirtschafts-Flüchtling. Die Absicht dahinter: Das Anliegen der Flüchtlinge, einzureisen, wird als eine Flucht in den Wohlstand umgedeutet. Verschärft formuliert war es dann eine Flucht in das deutsche Sozialsystem. Wie schändlich! Wie sagt es die schwäbische Hausfrau, Leitfigur der Merkelschen Wirtschafts-Identität: „Mir gäbet nix!“

„Die leben doch auf unsere Kosten!“ heißt es oft und nicht nur an Stammtischen. Wohl wahr. Zu dieser Wahrheit gehört aber auch: Es ist ihnen z. B. in einem Asylverfahren, geradezu ver­boten, eine Arbeit aufzunehmen. Selbst wenn es einem jugendlichen Asylbewerber allen Widrigkeiten zum Trotz gelingt, eine berufliche Ausbildung zu beginnen, ist das angeblich noch lange kein Grund, nicht auf seine Ausweisung aus Deutschland hinzuarbeiten. Gut integriert, dann noch ein fester Arbeits- oder Ausbildungsvertrag – egal! Ausländer! Und die sollen gefälligst im Ausland bleiben! Wozu gibt es das sonst?

Dort werden sie dann vielleicht mit jenen Waffen bedroht, die in so wunderbarer Weise zum Handelsbilanz-Überschuß der deutschen Wirtschaft beitragen. Das ist natürlich nicht zynisch, sondern Realpolitik. Wir verkaufen die Waffen ja nur, wir drücken nicht selbst ab. Man kann denen doch nicht alles abnehmen!

Das machen bei den Flüchtlingen, die bei den Schlepperbanden landen, ebendiese Schlepper. Oder wie an der Grenze von Litauen zu Polen eben die Grenzbeamten. Egal von welcher Seite. Wer das Geld hat, die Schlepper zu bezahlen, der kann doch nicht wirklich bedroht sein, oder?

Und dann dieser Hype um Frauen, die vor drohender Genitalverstümmelung oder Zwangs­verheiratung fliehen! Die sollen sich nicht so haben. Recht auf körperliche Unversehrtheit? Das sind keine Deutschen und können dann auch nicht entsprechende Rechte für sich einfordern. Im falschen Land geboren? Pech! Dann noch als Frau? Doppeltes Pech. Aber was hat das mit uns zu tun?

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

So einfach ist das.