Der Rote Faden

Von Rolf Mackowiak

Soziales

Ich fragte eine der Beschäftigten im Krankenhaus, ob sie sich ihrer Arbeit entsprechend wertgeschätzt fühlte, auch finanziell. Der Blick, den sie mir zuwarf, sprach Bände.

Das Bundesministerium, das auch für Soziales zuständig ist, nennt sich vollständig „Bundes­ministerium für Arbeit und Soziales“. Da sind also zwei Lebensbereiche, die sich mehr oder weniger überschneiden. Wichtig erscheint mir die Verknüpfung. Beides scheint also in einem unmittelbaren Zusammenhang zu stehen.

Das griff auch ein Slogan auf, der allerdings die Reihenfolge umkehrte: „Sozial ist, was Arbeit schafft.“ Für mich eine etwas gewagte Aussage.

Seit geraumer Zeit geistert der Begriff von den prekären Beschäftigungsverhältnissen durch die öffentliche Diskussion. Gemeint ist damit die Existenz von Arbeitsplätzen, die kaum oder gar nicht das Existenzminimum sichern. Wer einen Arbeitsplatz innehat, der unter dieser Grenze liegt, der kann zusätzliche Hilfe beantragen, ist also ein sogenannter Aufstocker. Klingt erst einmal ganz vernünftig. Aber auf den zweiten Blick ergeben sich für mich doch einige Fragen. Da wäre erst einmal die ganz offensichtliche, wie es denn sein kann, daß man mit seiner Arbeit nur teilweise das eigene Leben finanzieren kann, und das gilt nicht nur für Mini-Jobs.

Am Wochenende habe ich dazu einen Bericht gehört, der mich gleichermaßen amüsiert wie auch geärgert hat. Es ging dabei um Bayern München, einem Fußballverein, der ja wenig von Geldsorgen geplagt ist und ja auch millionenschwere Spieler unter Vertrag hat. Dazu kommt noch reichlich Fußvolk. Von denen werden nicht wenige auf 540 € Basis beschäftigt, müssen aber deutlich länger dafür arbeiten, als in dieser Jobform vorgesehen ist.

Für mich ergibt sich daraus auch die Frage der Fairness. Wenn ein Arbeitgeber nur geringe Löhne zahlt und dem Staat den Rest überläßt, ergibt sich m. E. eine Ungerechtigkeit denje­nigen gegenüber, die ausreichende Löhne zahlen. Sie haben höhere Kosten und damit einen Wett­bewerbsnachteil. Es erstaunt mich immer wieder, warum das von Seiten der Arbeit­ge­berverbände so wortlos behandelt wird. Kein Thema?

Dahinter steht aber auch die Frage, was meine Arbeit eigentlich wert ist und wer darüber entscheidet. Es ist noch gar nicht so lange her, daß die Wertigkeit der Arbeit in den Pflege­berufen ins öffentliche Bewußtsein trat. Ich war zu der Zeit im Krankenhaus und ich habe mich mit einer der Beschäftigten unterhalten. Ich fragte sie, ob sie sich ihrer Arbeit entsprechend wertgeschätzt fühlte, auch finanziell. Der Blick, den sie mir zuwarf, sprach Bände.

Pflegeberufe stehen exemplarisch dafür, daß sich ihre Bedeutung nicht in der Bezahlung widerspiegelt. Umgekehrt verhält es sich bei den Vergütungen an der Spitze von Unter­nehmen. Warum diese Personen oftmals zusätzlich zu ihren Bezügen noch Bonus-Zahlungen erhalten, ist unerfindlich. Sie bekommen doch ein Gehalt und oft noch weiter Vergün­sti­gungen wie Übernahme der Kosten der Altersversorgung etc. Wer mit seinem Einkommen schon weit über dem Durchschnitt liegt, sollte das doch selbst leisten können – sie sind schließlich nach eigener Meinung die Leistungsträger. Aber diese Lasten wollen sie wohl nicht tragen, weil sie eben keine Lastenträger sind.

Ein besonders absurdes Beispiel für die Boni habe ich vor geraumer Zeit gehört. Da bestand die Leistung des Empfängers darin, den Gewinn der Firma auf ein Drittel zu verringern. Als Ausgleich erhöhte sich seine Bonus-Zahlung auf das Dreifache. Na gut, in Amerika ist eben manches anders.

Erst neulich habe ich einen Bericht gehört, in dem es um die Wohnsituation ging. Der Tenor: Für viele ist es einfach nicht mehr zu stemmen, dort zu wohnen wo sie arbeiten und sie ziehen deshalb ins Umland.

Ich stehe ja auch in der Situation, von der Grundsicherung leben zu müssen. Das geht, bringt aber auch viele Einschränkungen mit sich. Die Vorstellung, nicht in einer Großstadt wie Aachen zu wohnen, verursacht mir leichtes Grausen. Ich habe einmal „auf dem Dorf“ gewohnt und ehrlich gesagt müßte man mich heute dort hinprügeln. Kaum Infrastruktur, die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr ein schlechter Witz. Wenn man viel Ruhe braucht vielleicht erträglich, aber wenn die persönlichen Bedürfnisse darüber hinausgehen, doch wenig erstrebenswert.

Es geht also nicht nur darum, wieviel Geld ich zur Verfügung habe, sondern auch darum, wie sich mein Umfeld gestaltet. Ich habe in der Stadt viele Gestaltungsmöglichkeiten, die mir anderswo nicht zugänglich sind. Ein Aspekt, der meines Erachtens viel zu wenig beachtet wird. Für mich sind öffentliche Bibliotheken, Einkaufsmöglichkeiten etc. ebenfalls Lebens-Mittel. Ebenso kulturelle Angebote, die sich meist auf die Städte konzentrieren. All das, was sich in dem Begriff Urbanität zusammenfassen läßt. Aber schon da macht es einen riesigen Unter­schied, ob ich in München oder in Gelsenkirchen wohne.

Nicht zu vernachlässigen sind überhaupt die Bildungsangebote. Fast bin ich geneigt, zu den Worten „Es war einmal…“ zu greifen, wenn ich an meine Schulbildung zurückdenke. Es war zu der Zeit, als das Bafög auch auf Schüler ausgeweitet wurde. Wenn ich mir aber die zugrunde­liegende Absicht, die Bildungschancen demokratischer zu machen, ansehe, dann kann ich nur deren Scheitern feststellen. Noch immer ist der Bildungserfolg wesentlich vom sozialen Status der Eltern abhängig.

Eine andere Ungleichgewichtigkeit ist die Vermögensverteilung. Aktuelle Zahlen habe ich nicht parat, aber 2017 war die Situation so, daß die reichsten 10% über etwa 56% des Vermögens verfügten, die Hälfte der Bevölkerung zusammen über gerade einmal 2,6%. Wie es der Volksmund so schön sagt: Der Teufel BEEEEEP stets auf den größten Haufen. Ich bin ja mit fast 67 schon etwas älter, aber ich kann mich an keine ernstliche Bemühung irgendeiner Bundes­regierung erinnern, dieses Ungleichgewicht anzugehen. Warum sind Vermögen quasi sakro­sankt? Ich kann keinen vernünftigen Grund dafür erkennen.

Ein Argument für die weitgehende Steuerfreiheit von Vermögen ist es, dieses Geld stamme ja aus bereits versteuertem Einkommen. Selbst wenn ich dieser optimistischen Anschauung folge (Wovon leben Steuerparadiese?), bleibt die Frage, warum ich dann auf meine Lebens­mittel Mehrwertsteuer bezahlen muß. Auch mein Arbeitseinkommen ist ja bereits versteuert und ich erwerbe bei deren Kauf ja kein Anlagevermögen. Aber Logik und Steuerrecht…

Verschärft wird die Problematik dadurch, daß ja viele Vermögen in eben dieser Gesellschafts­schicht durch Erbschaft verbleiben bzw. sich in ihr vervielfältigen. Wer hat, dem wird gegeben.

Mahatma Gandi hat dazu einmal gesagt, die Welt böte genug für die Bedürfnisse aller, aber zu wenig für die Gier weniger.