Der Rote Faden

Von Rolf Mackowiak

Freiheit

Ich zucke immer zusammen, wenn ich den Satz „Ich habe nichts zu verbergen.“ höre. Möglich, aber es geht – verdammt noch mal – niemanden etwas an!

Freiheit scheint so selbstverständlich. Für mich ergeben sich aus dem Begriff zwei Fragen: Freiheit wovon? Und: Freiheit wozu?

Wovon will ich frei sein? Zuerst einmal frei von Not, insbesondere von Hunger. Auch eine Wohnung sollte zu dieser Freiheit gehören. Da wird es aber schon kritisch, und das nicht nur in unserer Zeit. Man kann einen Menschen mit einer Wohnung erschlagen wie mit einer Axt, lautet ein Satz, dessen Herkunft mir nicht ganz klar ist. Heinrich Zille kommt mir dabei in den Sinn, aber ich kann diesen Satz nicht sicher ihm zuordnen.

Es kommt also auch auf die Qualität an, in der diese beiden Freiheiten mir begegnen. Nur Freiheit von Hunger ist noch keine hinreichende Ernährung und nur ein Dach über dem Kopf garantiert noch kein Gefühl von Sicherheit.

Aber über diese Grundlagen der Freiheit hinaus gibt es eine andere Ebene. „Frei wie ein Vogel“, also in der Bewegung nicht durch Grenzen eingeschränkt sein, ist wohl ein universeller Traum. Genau betrachtet sind wir in unserem Leben an eine Zweidimensionalität gebunden, nämlich durch die Schwerkraft an die Erdoberfläche. Ich kann mich eben nicht einfach in die Luft erheben, und auch im Wasser gibt es für mich als Lungenatmer einige Beschränkungen.

Ähnliche Fesselungen gibt es auch in meiner sozialen Existenz. Zwei Romane zeigen die Folgen einer Freiheit von solchen Bindungen: „Das Bildnis des Dorian Gray“ und „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“. In beiden Büchern werfen die Protagonisten bestimmte Fesseln ab, und das macht sie zu wahrhaft a-sozialen Wesen. Weder Dorian Gray noch Dr. Jekyll gereicht diese Freiheit zum Guten. Sie werden zu Gefangenen dieser von jeder Moral entbundenen Existenz und gehen daran zu Grunde.

So paradox es erscheint: Freiheit braucht Grenzen. Meine Freiheit endet dort, wo sie mit der anderer Menschen kollidiert. „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“, schrieb Rosa Luxemburg. Schon der französische Philosoph Voltaire sah das Jahrhunderte früher ähnlich. Freiheit ist also eine Haltung, in der ich mich nicht absolut setze, sondern immer in Beziehung zu anderen verstehe, also ein soziales Wesen bin. Zugespitzt gesagt: ohne andere bin ich nichts.

Viele Freiheiten sind uns so vertraut, daß wir sie für selbstverständlich halten. Aber Freiheit ist kein Zustand, den ich einmal erreiche und der dann nicht mehr verloren geht. Wenn man die politische Entwicklung der letzten Jahrzehnte betrachtet, könnte man sogar den Eindruck gewinnen, sie käme regelrecht aus der Mode. Autokratien breiten sich aus, sei es in Polen, Belarus oder der Türkei. Und es gibt durchaus Menschen, die die sogenannten Erfolge Chinas bei der Bekämpfung von Corona und die Methoden nachahmenswert finden.

Orwells „Big Brother“ war lange technisch nicht umsetzbar, aber die Fortschritte z. B. bei der Gesichtserkennung geben doch zu denken. Wenn jeder meiner Schritte verfolgt werden kann und immer bekannt ist, wo ich mich aufhalte, ist es mit meiner Freiheit nicht mehr weit her.

Ich zucke immer zusammen, wenn ich den Satz „Ich habe nichts zu verbergen.“ höre. Möglich, aber es geht – verdammt noch mal – niemanden etwas an! Würde man diese Menschen auffordern, sich öffentlich zu entkleiden – sie würden es empört zurückweisen. Aber im Internet sind viele dann deutlich weniger gehemmt, sehr persönliche Daten zu hinterlassen. Diese Selbstaufgabe eigener Freiheiten ist ein verbreitetes Phänomen. Vielen Menschen ist einfach nicht bewußt, wie effizient sich Einzeldaten zu einem Gesamtbild formen lassen.

Oft erscheinen Demokratie und Freiheit als Synonyme. Aber auch in Demokratien gibt es Bestrebungen, zugunsten der Sicherheit Abstriche bei den Freiheitsrechten hinzunehmen. Sei es die Patientenkarte der Krankenversicherung, sei es der biometrische Ausweis. Alle wollen immer mehr Daten über uns, und das ist ganz gewiß kein Selbstzweck. In den USA gibt es ein meiner Meinung nach übersteigertes Mißtrauen gegen die Bundesregierung, ja, staatlichen Instanzen überhaupt. Aber grundsätzlich halte ich dieses Mißtrauen durchaus für angebracht.

Ich finde, der Staat (und jede andere Einrichtung) sollte immer genau Rechenschaft darüber ablegen, wofür er meine Daten braucht. Ein blindes Vertrauen bringe ich jedenfalls in dem Punkt niemandem entgegen. Auch ist es nicht in jedem Fall so, daß die Speicherung meiner Daten den Zugriff Dritter völlig ausschließt. Genau das sollte aber die Aufgabe des Staates und anderer Akteure sein: Mich und meine Daten zu schützen.

Es sollte jeden hellhörig machen, wenn von persönlichen Daten als „Währung der Zukunft“ oder ähnlich geredet wird. Meine Daten gehören mir (Schön wär’s!). Nehmen wir das Beispiel der Schufa. Sie sammelt Daten wie ein Magnet Eisenspäne und in jüngster Zeit gab es ja sogar das Ansinnen, auf die Daten meines Girokontos zugreifen zu können. Ähnlich sieht es bei dem „social profiling“ aus. Wenn ich im falschen Stadtteil wohne und sogar noch einen etwas exotischeren Nachnamen trage, kann das schon das Aus bei der Wohnungssuche bedeuten.

Das hinterhältige dabei ist, daß ich in den seltensten Fällen gewahr werde, warum ich als potentieller Mieter chancenlos bin, denn die Beteiligten üben sich bei der Information darüber in vornehmer Zurückhaltung: Ich bin in einem unsichtbaren Datennetz gefangen, also unfrei.

Es ist ein schleichender Prozeß, der selten auch nur einigermaßen transparent abläuft. Bei meinem Computer mache ich es so: Schon wenn ich ihn einschalte, komme ich nur mit meinem Passwort weiter. Jede Datei, die persönliche Daten enthält, ist noch einmal extra verschlüsselt. Wenn ich ins Internet gehe, entferne ich alle Datenträger (USB-Stick, Flash-Disk oder SD-Karte). Auf meiner SD-Karte mit dem Betriebssystem finden sich keine persönlichen Daten, sondern nur die Arbeitsprogramme. Alles andere speichere ich auf externen Medien. Das ist manchmal etwas unbequem, aber das ist Freiheit immer.

Dieses Beispiel zeigt eines aber ganz deutlich: Freiheit ist nicht anstrengungslos zu haben, egal in welchem Bereich. Wer darauf wartet, daß die Freiheit ihm wie eine reife Frucht in den Schoß fällt, wird hungrig bleiben.

Es hat Jahrhunderte gedauert, bis die bürgerlichen Freiheitsrechte erkämpft waren, und der Prozeß ist noch nicht abgeschlossen. Die amerikanische Verfassung garantiert viele Rechte, war aber etwas wählerisch darin, für wen die galten. Die Sklaverei war jedenfalls mit ihr vereinbar und einige Präsidenten waren nicht nur das, sondern auch Sklavenhalter. Ähnlich sah es ja in England aus. Ein Wahlrecht hatten nur Besitzende und Frauen wurde glattweg abgesprochen, für Politik und Wirtschaft genug Verstand zu haben. Und das ist noch nicht so lange her. In den USA gibt es in vielen Bundesstaaten Bestrebungen, durch administrative Hindernisse eine Wahlbeteiligung der farbigen Bevölkerung zu erschweren oder gleich zu verhindern. Zwar hat jeder amerikanische Staatsbürger das Wahlrecht, um es aber wahrzunehmen, muß er sich als Wähler registrieren lassen. Da hat der „alte Kontinent“ Europa ausnahmsweise mal die Nase vorn. Aber gleich so weit zu gehen wie Belgien, in dem es eine Wahlpflicht gibt, halte ich denn doch für übertrieben.

Ein Aspekt der Freiheit, mit dem ich oft genug konfrontiert werde, ist seine materielle Basis. Freiheit muß ich mir auch leisten können, und damit ist die heutige Sozialgesetzgebung mit einem großen Mangel behaftet: Ich bin gesellschaftlich von Dingen ausgeschlossen, weil ich sie mir partout nicht leisten kann. In dem Zusammenhang ist es vielleicht erwähnenswert, wie im Zuge der Agenda 2010 der Satz der Grundsicherung (hieß damals noch anders) festgelegt wurde. Es gab ja das Arbeitslosengeld, das sich an den eingezahlten Beiträgen orientierte. Daneben gab es dann, nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes die sog. Arbeitslosenhilfe, die oft aber deutlich über den Sätzen der heutigen Grundsicherung lag, und zwar mit der Begründung, die Arbeitslosenhilfe sei eben „bedarfsorientiert“. Ein Schelm, wer daraus schließt, für die Grundsicherung träfe dies dann wohl nicht zu…

 Es ist ja auch nur als grotesk zu bezeichnen, wenn es im unserem Rechts- und Sozialsystem durchaus unterschiedliche Existenzminima gibt. Aber das zu vertiefen, fehlt mir jetzt die Zeit. Aber das Thema ist vorgemerkt…