Der Rote Faden

Von Rolf Mackowiak

Schweigen

Das Schweigen ist ja teils paradox. Es ist etwas, das nicht ist, nämlich Unausgesprochenes. Das ändert natürlich nichts an der Existenz dessen, worüber geschwiegen wird. Es grenzt sprachlich aus der Wirklichkeit aus.

In Redensarten ist das Schweigen gar nicht so selten anzutreffen. „Der Rest ist Schweigen“, „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ usw.

Das Schweigen ist ja teils paradox. Es ist etwas, das nicht ist, nämlich Unausgesprochenes. Das ändert natürlich nichts an der Existenz dessen, worüber geschwiegen wird. Es grenzt sprachlich aus der Wirklichkeit aus. Nur was zur Sprache kommt, ist offen für den Diskurs. Damit hat es den Charakter einer Zensur, deren Regelwerk nur schwer zu erkennen ist.

In vielen Staaten ist die Unterdrückung der Presse und anderer Formen freier Meinungsäußerung gängige Praxis. Das gesprochene oder – noch schlimmer – verbreitete Wort wird also von den Potentaten solcher Regimes als höchst gefährlich betrachtet. Aber auch Demokratien sind nicht frei von solchen Tendenzen. Ich möchte dabei an den Kampf Donald Trumps gegen den Sieg von Joe Biden bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen erinnern, in dem von seiner Pressesprecherin die Lüge von den „gestohlenen Wahlen“ als „alternative Fakten“ verbrämt wurde. Die Lüge ist also die illegitime Schwester des Schweigens, denn mit der Leugnung ist ja auch ein Verschweigen der Wahrheit verbunden.

Auch im Alltag gibt es diese Verbindung von Lüge und Schweigen: Wer beim Lügen ertappt wird, empört sich über diese Unterstellung, oder er verfällt in betretenes Schweigen, wenn die Tatsache doch unabweisbar wird.

Es war ja ein Austritt aus dem Konsens des „Darüber-spricht-man-nicht“, der das Bekenntnis einiger Frauen zur Abtreibung eine so große Resonanz verschaffte. Es war nicht so schwer, sich über die Existenz illegaler Schwangerschafts-Abbrüche einfach in Schweigen zu hüllen. Aber auch dies trieb ja die Frauen in die Illegalität, oft mit großen Risiken für ihre Gesundheit. Obwohl die Tatsache, daß Abtreibungen durchgeführt wurden, kein großes Geheimnis war, so war es doch noch weniger ein Thema im öffentlichen Diskurs. Es paßte einfach nicht in das konservative Gesellschafts- und Familienbild.

Ähnliches galt lange Zeit für die Homosexualität – der Männer. Frauen taten so etwas eben nicht. Eine doppelte Verleugnung der Realität.

Schweigen kann also einen durchaus gewalttätigen Charakter haben. Es nimmt den Betroffenen die Möglichkeit des Diskurses. Da wird dann etwas tot-geschwiegen.

Schweigen ist so gesehen oft auch eine Leugnung der Realität. Aus heutiger Sicht ist wirklich nur schwer nachzuvollziehen, wie der NSU so lange seine Anschläge und Morde ausführen konnte. Aber die Existenz von rechtsradikalen Tendenzen war quasi ein Tabu. Einzeltäter – hoffentlich psychiatrisch auffällig – das konnte es vielleicht geben. Aber organisierter Rechtsterrorismus? Völlig unvorstellbar! Aber Realität.

Auch Gewalt gegen Frauen war lange kein Thema, obwohl in unserer ach so aufgeklärten Zeit in Paarbeziehungen jeden dritten Tag eine Frau getötet wird. Vom Mißbrauch von Kindern, bei dem es regelrechte Netzwerke gibt, ganz zu schweigen.

Schweigen dient natürlich auch meinem Schutz. Ich muß nicht jedem auf die Nase binden, was ich so denke und fühle. Ich sage von mir gerne, ich sei Datensicherheits-Paranoiker, und es käme mir nie in den Sinn, persönliche Daten allgemein verfügbar zu machen. Da ist Schweigen für mich der bessere Part. Wer mich kennenlernen will, muß das schon von Angesicht zu Angesicht tun.

Schweigen kann darüber hinaus aber auch eine Verweigerung des Dialogs sein. Wenn ich einem Menschen auf seine Fragen nicht antworte, läuft er ins Leere. Ich mache mich für ihn nicht greifbar und weigere mich im Extrem, seine Anwesenheit auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Das ist für mich dann eine sehr aggressive Form des Schweigens.

Ein Schweigen muß aber nicht negativ beladen sein. Es gibt auch das einvernehmliche Schweigen, das ich mit jemandem teile. Dies nicht, weil ich und mein Gegenüber sich nichts zu sagen haben, sondern weil die Gemeinsamkeit keine Worte erforderlich macht.

Schweigen ist also so vielgestaltig wie das Leben.