Der Rote Faden

Von Rolf Mackowiak

Geduld

Was verliere ich, wenn ich die Geduld verliere? Nur Geduld!

Die Geduld hat auch noch einen anderen Namen: Langmut. Da treffen zwei Dinge zusammen, die auf den ersten Blick nicht unbedingt zusammengehören, nämlich eine zeitliche Dauer und der Mut, diese zu ertragen. Statt mutig (wirklich?) eine Chance zu ergreifen, hat die Geduld gewissermaßen eine strategische Komponente. Nicht der schnelle Erfolg zählt, sondern wie er erreicht wird. Mich erinnert das an ein spanisches Sprichwort, das ich mal so übersetzen möchte: Wenn du es eilig hast, mach langsam. Dazu fällt mir noch eine Zeile aus einem Gedicht von Peter Rühmkorf ein: Was so leicht daherfliegt, wie lange ist darauf gebrütet worden?

Also fassen wir uns in Geduld.

Die Geduld gilt (immer noch?) als Tugend, obwohl unsere heutige Alltagswelt sie oft vermissen läßt. Nehmen wir die Börse. Da werden riesige Transaktionen in unfaßbar kurzer Zeit durchgeführt, und auch die kleinste Veränderung der Kurse hat Auswirkungen auf die han­deln­den Computer. Kein Mensch könnte das leisten – aber wie sinnvoll wäre das auch? Ich finde es geradezu lachhaft, wenn abends kurz vor den Nachrichten die Börsennotierungen durchgegeben werden. Der reale Handel wird längst nicht mehr von Menschen gemacht, und was diese Kurz-Infos mir im praktischen Leben helfen sollen, hat sich mir noch nicht erschlos­sen. Vor allem aber: da werden Kursveränderungen um 5 % nach unten schon wie eine kleine Katastrophe behandelt. Zur Erinnerung: Die aktuelle Inflationsrate lag im Juli im Schnitt bei 7,5 %, bei Lebensmitteln noch etwas höher. Da stimmt irgendetwas mit den Maßstäben nicht.

Aber was gibt es nicht alles, was uns vorantreibt, indem es uns angeblich mehr Zeit verschafft: der Coffee to go, der Döner auf die Hand. Was wir dabei wirklich sparen, ist nicht Zeit allge­mein, sondern die Zeit, zu genießen. Genuß braucht Muße. Es gab mal diesen schönen Spruch: „Die Tage sind gleich lang, aber unterschiedlich breit.“ Was wir hektisch aneinanderreihen, um unsere Zeit sinnvoll zu nutzen, macht das einzelne Ereignis in seiner Wirkung schmal und vielleicht unerheblich.

Mich erinnert das an diesen wundervollen Sketch von Loriot, in dem ein Mann einfach nur in seinem Sessel sitzen und nichts tun wollte, der aber von seiner in der Küche fuhrwerkenden Frau immer wieder aufgefordert wurde, etwas zu tun, zu Lesen z. B.

Die Frage, wie wir mit der Zeit umgehen und wie ein geduldiger Umgang mit ihr Gewinn bringen kann, hat Sten Nadolny in seinem Roman „Die Entdeckung der Langsamkeit“ thematisiert. Sein Protagonist verhindert durch seine Langsamkeit z. B. eine Seeschlacht – ein Erfolg, den Schnellere nicht so einfach wiederholen könnten.

Oft wird Schnelligkeit – vorschnell – mit Effizienz verwechselt. Wer viel macht, hat auch viele Möglichkeiten, Unsinniges zu tun. Nicht die Menge dessen, was ich schaffe, sondern was ich schaffe, sollte maßgebend sein. Oder auch, was ich unterlasse, weil es mir nach reiflicher Überlegung als nicht so dringend oder gar überflüssig erscheint.

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem ehemaligen Börsenmakler, der noch vor dem Siegeszug des Computers im Aktienhandel tätig war. Sein Fazit: Wir haben vielleicht nicht so viel umgesetzt wie es heute möglich ist, aber wir hatten wenigsten die Zeit, darüber nachzu­denken.

Das ist eine Qualität, die uns zunehmen abhanden gekommen ist. Was aber haben wir dadurch gewonnen? Diese Talk-Runden, in denen Politiker zu allem eine Meinung haben müssen, sind auf die Dauer ermüdend. Da fällt mir dann eine Szene ein, die der Journalist, später Kabarettist Henning Venske schilderte. Er sagte, er würde es gern einmal sehen, wenn ein Politiker in einer solchen Runde aufstünde und sagte: Das ist ein interessanter Gedanke. Darüber muß ich erst einmal nachdenken.

Genau das Gegenteil erwarten wir aber oft von unseren Politikern: Immer und zu allem eine Meinung zu haben und sie dann auch zu äußern.

Es gibt natürlich das Gegenteil, und heute ging eine Meldung durch die Nachrichten, die die negativen Seiten beleuchtet. Es war – wen überrascht es? – Olaf Scholz‘ Nicht-Reaktion auf die Äußerungen von Mahmoud Abbas über den Vergleich des Verhaltens des Staates Israel gegenüber den Palästinensern, das er mit dem Holocaust gleichsetzte. Erst danach war sein Kommentar deutlich ablehnend, aber in der Situation nur ein steinernes Gesicht aufzusetzen, war nicht nur meiner Meinung nach deutlich zu wenig.

Da schlägt Geduld in Dickfelligkeit um und macht die eigene Position unglaubwürdig.

Geduld oder Langmut sind also nicht per se positive Qualitäten. Es gibt Situationen, die kein langes Nachdenken zulassen, wie der Einsatz von Rettungskräften nach einem Unfall. Da muß gehandelt werden. Aber diese Effizienz kommt ja auch daher, daß vorher entsprechendes Verhalten geübt wird. Ohne diese Geduld wäre der Einsatz nicht so effizient. (Erinnern Sie sich noch an die Worte von Peter Rühmkorf?)

Ich hoffe, Sie hatten bis hierher Geduld mit mir.