Der Rote Faden

Von Rolf Mackowiak

Untote

Die kriegen schon wieder mehr – als ich.

Normalerweise kennt man sie nur aus Horror-Filmen: Untote, auch Wiedergänger genannt. Mich befällt dasselbe Gefühl, wenn wieder einmal eine neue alte Idee in die politische Diskussion gerät.

Das jüngste Beispiel kommt aus der FDP (siehe Titel) in Person des Fraktionsvorsitzenden Christian Dürr. Der Name kann sinnbildlich für den geistigen Gehalt dieses Vorschlags gesehen werden. Herr Dürr meint nämlich, die geringere Inflation (gegenwärtig ca. 2,3%) rechtfertige eine Verringerung des Bürgergeldes um 14 – 20 €. Im Klartext: Weil die Preise nicht so stark steigen, soll das Bürgergeld gekürzt werden. Die Bezieher von Bürgergeld müssen aber weiterhin mehr für Lebensmittel usw. ausgeben. Wie man da auf die Idee kommen kann, das verfügbare Geld für diese Personengruppe müsse geringer ausfallen, bleibt unerfindlich – dazu braucht es wohl ein FDP-Parteibuch. Vielleicht genügt aber auch einfache Dummheit.

Der Verweis auf die starke Steigerung des Bürgergeldes – immer noch für ein Leben in Würde unzureichend – übersieht dabei gekonnt den Grund für diese Erhöhung: die starken Preiserhöhungen für Lebensmittel und Energie. Diese wurden damit rückwirkend berücksichtigt, aber lange noch nicht kompensiert. Man erinnere sich: die Preise für Lebensmittel waren zeitweise um über 20% gestiegen. Aber wer wird sich schon durch Fakten irritieren lassen. Die FPD jedenfalls nicht.

Ähnlich fundiert sind die Ideen der FDP zur Zukunft des Verkehrs, vor allem in den Städten: mehr Platz für Autos, weniger für Fußgänger und Radfahrer und noch einiges mehr. „Zurück in die Zukunft“ war ja als Filmtitel noch halbwegs originell, die Ideen der FDP sind es keinesfalls. Wenn man an den vehementen Widerstand der FDP gegen das Aus für Verbrenner-Motoren denkt – obwohl sich die Regierungen in der EU schon darauf geeinigt hatten – dann paßt das natürlich ins Bild.

Aber wenn man sich auf diese Gedanken einläßt, kommen mir doch weitere Vorschläge für eine zukunftsorientierte Politik der FDP in den Sinn. Die Einführung der Folter bei polizeilichen Vernehmungen könnte doch auch für eine Beschleunigung bei der Verurteilung der Delinquenten sorgen und somit die Justiz entlasten. Wozu lästige Steuerprüfungen, die die Betroffenen dem unausgesprochenen Vorwurf aussetzen, sie verhielten sich nicht gesetzeskonform? Keine Vorverurteilung mehr! Prüfung bei Bauprojekten? Verzögert nur den Bau so dringend benötigten Wohnraums. Also weg damit für schnelleres Bauen – dagegen kann doch wirklich niemand etwas haben.

Da ist also noch jede Menge Luft nach oben für neue alte Ideen da.

Eine weitere Idee, die immer wieder in der Diskussion auftaucht: Man müsse – durch Sanktionen oder allgemeine Kürzungen den „Arbeitsanreiz“ erhöhen. Ich frage mich manchmal – und möchte die Antwort nicht erfahren – welches Menschenbild hinter dieser immer wieder vorgebrachten Forderung steht. Da werden dann Sonderfälle von Sonderfällen konstruiert und als allgemeingültig verkauft. Geistig armseliger kann man mit der Thematik nun wirklich nicht umgehen.

Die Bundesregierung hat nun eine Erhöhung des Wohngeldes beschlossen. Die hat aber für die Bezieher des Bürgergeldes gar keine Bedeutung, da sie voll verrechnet wird. Was davon aber im Bewußtsein der Öffentlichkeit hängenbleiben wird: Die kriegen schon wieder mehr – als ich.

Bei all dem frage ich mich immer wieder – und da hätte ich durchaus gerne eine Antwort – warum solche Narrative sich so hartnäckig allen Fakten widersetzen können. Ich vermute einfach mal, daß es an der Denkfaulheit liegt, die lieber alte Vorurteile bestätigt sieht, als sich aktiv mit der Thematik auseinanderzusetzen. Dabei tut Denken doch gar nicht weh! Warum also vermeiden so viele diese kleine Anstrengung?

Um Antwort wird gebeten.

Im September stehen ja in den drei Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg Landtagswahlen an, und auch dort werden Untote in Form der AfD allen Prognose nach die großen Gewinner sein. Für die SPD und die Grünen sieht es dagegen finster aus. Auch die FDP ist nun eine der Parteien, die unter „Sonstige“ fallen. Um sie wäre es auch wirklich nicht schade. Aber zu meiner Verwunderung hat die FDP schon andere schlechte Zeiten durch- und vor allem überlebt. Totgesagte leben eben länger.

Wie kann es sein, daß eine Partei, die offen ausländerfeindlich und rechtsextrem auftritt, von vielen überhaupt als wählbar angesehen wird? Da setzt wohl der gesunde Menschenverstand aus und wird durch das „gesunde Volksempfinden“ ersetzt, also durch Populismus.

Ähnlich steht es um den politischen Gegenpol, dem Bündnis Sahra Wagenknecht (Welche Bescheidenheit der Namensgebung!). Die Positionen von Frau Wagenknecht sind für mich ebenso unverständlich und inakzeptabel wie die der AfD. Wer der NATO und dem Westen allgemein eine Mitverantwortung für den Überfall Rußlands auf die Ukraine gibt, hat für mich schlicht nicht mehr alle Latten am Zaun.

Auch da kann ich nur wieder auf meine Ansicht verweisen, daß es auf komplexe Sachverhalte keine einfachen Antworten geben kann. Wer sie trotzdem sucht, kann sich nur in der Wirklichkeit verirren.