Der Rote Faden

Von Rolf Mackowiak

Herbst

Herbst

Für mich hat der Herbst etwas Melancholisches, aber es ist eine eher freudige Melancholie: Nicht ein Ende des Sommers, sondern ein Luftholen für den Winter.

Morgen ist es also soweit: Herbstanfang. Allein das Wort löst viele Assoziationen bei mir aus. Bilder von der Farbigkeit des Laubes, Gedanken an Herbststürme und – jedenfalls bei mir – der Gedanke an die eigene Vergänglichkeit steigen in mir auf. Aber auch der Gedanke an die Erntezeit, in der man die Erträge (auch die des eigenen Lebens) einfährt. Es verbindet sich mit diesem Wort also sehr viel. Mir gefällt am besten die Farbigkeit der Zeit. Wolken sind nicht einfach „grau“, und die Sonnenuntergänge können von einer Farbigkeit sein, die mich mit ihrer Üppigkeit einfach ans Fenster fesseln.

Mir ist der Herbst neben dem Frühling die liebste Jahreszeit. Während der Frühling mit allen Schattierungen von Grün spielt, wählt der Herbst die braune Variante. Dem Auge gefällig sind sie beide. Für mich hat der Herbst etwas Melancholisches, aber es ist eine eher freudige Melancholie: Nicht ein Ende des Sommers, sondern ein Luftholen für den Winter. Bücher, die im Sommer liegen blieben, kommen jetzt zu ihrem Recht. Was gibt es angenehmeres, als sich unter eine Decke zu kuscheln, das Licht ein wenig zu dämpfen und sich ganz dem Zauber des Buches hinzugeben, ergänzt vielleicht noch von einer Tasse Tee oder besser noch einem heißen Kakao. Da kommt bei mir schon beim Schreiben dieser Zeilen die Sehnsucht nach dem Abend auf. Obwohl ich ehrlich gesagt wahrscheinlich eher an meinem Computer sitzen werde – Tee inklusive.

Ich bin gebürtiger Norddeutscher und habe anfangs mit Aachen gefremdelt. Kein weiter Blick über die Wiesen und Felder, stattdessen eine Stadtlandschaft, für die der Begriff „Häuserschlucht“ nur zu passend ist. Ich empfand die Bebauung als etwas, das den Blick förmlich auf die Straße zwingt, denn um ein wenig Himmel zu sehen, musste ich den Kopf in den Nacken legen. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, aber vermissen tue ich den freien Blick in die Landschaft zuweilen doch.

Es erstaunt mich immer wieder, wieviel Laub im Herbst in der Stadt zusammenkommt und von der Stadtreinigung zusammengekehrt wird. Wo kommt das bei all den gepflasterten Bereichen eigentlich her? Gibt es irgendwo verborgene Laub-Vulkane, die nachts die Stadt mit braunen Blättern überschütten? Es würde mich nicht wirklich wundern.

Besonders freue ich mich in solchen Zeiten, wenn Kinder in diesen Laub-Halden herumtoben. Die Faszination dieser Laubsammlungen wird – vielleicht – nur von Wasserpfützen übertroffen. Bei beidem erstaunt mich immer wieder, wie sehr die Aufmerksamkeit der Kinder davon gefesselt wird. Oder haben Sie schon mal ein Kind gesehen, das einfach daran vorbeigeht?

Ich mag die frühe Dämmerung, die auch ein Zeichen gibt, für diesen Tag langsam zur Ruhe zu kommen. Das sind dann Zeiten, in denen ich helles Licht als eher störend empfinde und ich sehe zu, daß es hell genug zum Lesen bleibt, aber auch nicht mehr. Schließlich mache ich es nicht stockdunkel und die Gefahr, über einen herumliegenden Schuh zu stolpern, ist doch eher gering. Aber dieses Halbdunkel hat für mich auch etwas Beschirmendes. Die Welt ist nicht verschwunden, aber sie drängt sich auch nicht auf.

Das ist das heimelige am Herbst. Aber der ist ja erfindungsreich und wartet schon mal mit tiefhängenden Wolken auf, die sich nicht selten von ihrer Regenlast befreien. Und wenn er mal richtig Luft holt, kann der Herbst auch ein ziemlich ungemütlicher Geselle sein. Ich erinnere mich da an einen Sturm, der die Bäume reihenweise zu Boden zwang. Bäume, die fest verwurzelt waren, zeigten sich angesichts der Kraft des Windes letztendlich etwas haltlos.

Aber was ist das schon, verglichen mit dem Anblick einer Baumgruppe, die in der herbstlichen Sonne geradezu zu leuchten scheint? Nur eine unwesentliche Störung, die bald vergessen ist. Ich gestehe aber zu, daß die Situation für die Menschen im Umkreis der Ahr nicht annähernd so romantisch ist. Ich beziehe mich auf die gewissermaßen saisonüblichen Wetterphänomene, nicht auf regelrechte Naturkatastrophen. Das ist eine andere Kategorie.

Wie ich schon erwähnte, bin ich gebürtiger Norddeutscher, und für mich verbindet sich mit dem Herbst auch ein Lied aus der Gegend – großzügig gesehen. Es ist ein Lied von Knut Kiesewetter, der auf Plattdeutsch besingt, wie der Herbst sich mit Regen, der gegen die Fenster schlägt und böigem Wind ankündigt. Solche Momente erlebt man am besten durchs Fenster, denn wie es so schön heißt, würde man bei diesem Wetter keinen Hund vor die Tür jagen. Aber drinnen fühlt es sich dann einfach großartig an. Beschützt und beschirmt und angenehm träge.

Wer sich jetzt keinen Tee aufbrüht und entspannt zurücklehnt, hat mich einfach nicht verstanden.