Wir haben also wieder Herbst, auch wenn der sich das nicht anmerken läßt, weil es für die Jahreszeit zu warm und immer noch zu trocken ist.
Der Rote Faden
Von Rolf Mackowiak
Herbst Reloaded
Was macht diesen Herbst sonst noch so anders als den vom Vorjahr?
Zwei Wörter stehen für die gravierendsten Unterschiede: Energiekrise und Ukraine-Krieg.
Die Energiekrise ist ja im Grunde keine, da es nicht um den Mangel an Energie geht, sondern um deren Bezahlbarkeit. Im Einklang mit den steigenden Energiekosten stehen die wachsenden Kosten für den reinen Lebensunterhalt, die um mehr als 20 % gestiegen sind. Auch die Erhöhung der Grundsicherung, ab 2023 das Bürgergeld, fängt das nicht auf. Ein immer noch nicht behobener Mangel ist bei der Festlegung des Betrages zu konstatieren. Weder Grundsicherung noch Bürgergeld decken den realen Bedarf, der laut den Wohlfahrtsverbänden eher um die 600 € anzusiedeln ist.
Das gewerkschaftsnahe Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut hat eine Studie veröffentlicht, nach der die Armutsgefährdung im vergangenen Jahrzehnt um 40 % zugenommen hat, und das nicht zuerst wegen der Corona-Epidemie. Da kann man schon herbstlich-schwermütig werden.
Was bei mir aber vor allem auf die Stimmung schlägt: Die Art und Weise, in der sich die Politik mit den substantiellen Problemen auseinandersetzt. Das ist schon extrem positiv formuliert.
Wenn ich mir den Eiertanz um Waffenlieferungen an die Ukraine anschaue, dann befällt mich die Fremdscham für die politischen Akteure. Das liegt auf derselben Schiene wie Habecks Bettelbesuch in Katar, einem Land, in dem Menschenrechte eher eine exotische Idee darstellen und das dennoch die Fußball-WM ausrichten darf, nicht zuletzt wegen einer korrupten FIFA, der Menschenrechte genauso gleichgültig sind, wenn nur die Kasse stimmt.
Dann der neue Aufreger: Der deutsche Paß muß deutsch bleiben – oder so ähnlich. Wenn ich mich mal im Umkreis des Bahnhofs umschaue, finde ich viele ausländische Lokale, die Speisen anbieten. Kleines Gedankenspiel: Denken Sie sich alle Geschäfte aus dem Stadtbild weg, die von Ausländern betrieben werden. Wie sähe die Stadt dann aus? Noch trostloser, würde ich meinen. Und was ist mit den vielen ausländischen Pflegekräften, ohne die der ganze Pflegebereich und das Gesundheitswesen insgesamt zusammenbrechen würden?
Woher kommt diese ausgeprägte Realitätsverweigerung, die in dem Slogan „Deutschland ist kein Einwanderungsland!“ liegt? Die starke Betonung des Mangels an inländischen qualifizierten Arbeitskräften bei der neuerlichen Diskussion ist schon sehr fragwürdig. Sind Künstler nicht willkommen? Und was wäre der „deutsche“ Fußball ohne ausländische Kicker? Also bitte erst mal tief Luft holen und nachdenken, bevor man von der Verramschung der deutschen Staatsbürgerschaft redet.
Ich will jetzt nicht das bedeutungsschwere „Denk ich an Deutschland…“ aus der Kiste holen, aber dieser fast schon reflexhafte Bezug auf „das Deutsche“ geht mir zunehmend auf die Nerven. Worauf wird sich da bezogen? Das bleibt in den meisten Fällen ziemlich unklar. Für mich kann dieser Punkt ruhig in der Schwebe bleiben, so lange Konsens darüber herrscht, daß nicht die Herkunft eines Menschen sein Wesen bestimmt.
Warum haben wir in dem Punkt nicht die amerikanische Leichtigkeit: Wer auf amerikanischem Boden geboren ist, der ist auch Amerikaner, genauer: amerikanischer Staatsbürger. Dieses Anklammern an eine wirkliche oder vermeintliche Herkunft hält doch der Realität nicht stand. In einer immer stärker vernetzten Welt einen Rückzug in den Kleingarten des Nationalstaates als Zukunftsmodell zu verkaufen, ist einfach nur absurd. Mir fällt dabei die Geschichte einer dunkelhäutigen Journalistin ein, in Deutschland geboren und mit deutscher Staatsangehörigkeit, die in einem Interview schilderte, daß die häufigste ihr gestellte Frage sei, woher sie denn „wirklich“ komme.
Bei dem Thema darf ja auch mein Lieblings-Millionär im Bundestag, Friedrich Merz, nicht fehlen. Er, aber auch andere Politiker – sogar aus der FDP, die doch irgendwann den Koalitionsvertrag unterschrieben hat – stellen jetzt eine Verbindung her, auf die man wirklich erst einmal kommen muß: Die Frage der Regeln für eine Zuwanderung mit der der Abschiebung von „nicht aufenthaltberechtigten“ Ausländern. Für mich gibt es da nur einen verbindenden Punkt: Es geht um Ausländer. Die einen will man haben, die anderen nicht. Ansonsten gibt es keine Verbindung und es ist mindestens unredlich, sie dennoch herstellen zu wollen. Ich empfinde dies Verhalten sogar als verlogen. Erst gestern habe ich eine Meldung aus Bayern gehört, nach dem es dort ein Bemühen um eine schnelle Abschiebung von Menschen geht, die beruflich durchaus integriert sind, und das noch vor dem Eintreten der angekündigten Neuregelung. Aber es entspricht der intellektuellen Armseligkeit, mit der in der politischen Diskussion mit dem Thema umgegangen wird, von der menschlichen ganz zu schweigen.
Zusammenfassend kann ich also nur feststellen, daß dieser Herbst auch nicht besser war als der Rest des Jahres – mit einer Ausnahme: Die Sonnenuntergänge bzw. die Abendhimmel waren zum Dahinschmelzen, und dafür verzeiht das Augen-Tier in mir so manches.