Der Rote Faden

Von Rolf Mackowiak

Herbst revisited

Der Herbst ist also nicht nur im meteorologischen Sinn eine Zeit des Übergangs.

An den Bäumen überwiegt noch das Grün, aber die braunen Stellen sind unübersehbar. Am Ende des Monats bekommen wir es amtlich: die Sommerzeit endet. Der Kalender und die Meteorologie sind aber schon längst im Herbst angekommen, nur das Wetter kann sich noch nicht ganz entscheiden. Da gibt es durchaus noch sonnige Tage und nicht wenige hoffen auf einen „goldenen Oktober“. Mal sehen, ob etwas daraus wird.

Der Herbst erscheint mir immer ein wenig zwiespältig. Er hat noch seine sonnigen Seiten, geizt aber auch nicht mit grauem Himmel, vielleicht sogar Regen. Das üppige Grün des Sommers verblaßt und so richtig reizvoll sieht das braune Laub auch nur aus, wenn es im Sonnenlich strahlt. Ein geliehener Glanz also.

Aber seien wir nicht ungerecht. Jede Jahreszeit hat so ihre Eigenheiten, und der Herbst eben die des Übergangs. Wir sind heute ein wenig diesem Ablauf entfremdet. Das Einbringen der Ernte und der Blick darauf, was das Jahr uns damit beschert hat, erreichen uns nur am Rande. Erntedank – ja, da war mal etwas. Heute können wir das ganze Jahr über fast alle Lebensmittel kaufen, unabhängig von der Jahreszeit. Erdbeeren im Winter? Irgendwo gibt es die bestimmt, da unsere Märkte nicht mehr auf das regionale Angebot beschränkt sind.

Das bereichert unseren Speiseplan – aber es nimmt uns auch die Möglichkeit, den saisonalen Angeboten mit der Aufmerksamkeit zu begegnen, die mit ihnen frühen verbunden war. Zwar gibt es noch Lebensmittel, die für uns einen gewissen saisonalen Bezug haben, aber bei Bedarf können wir das getrost ignorieren.

Ist das wirklich ein Gewinn? Ich bin mir da nicht ganz sicher. Sommer- und Winterschlußverkauf sind zwar nicht völlig verschwunden, aber im Grunde gibt es das ganze Jahr über irgendwelche Schlußverkäufe, bei denen der Anlaß ziemlich beliebig ist.

Diese Einheitlichkeit scheint sich im Auftreten von Wetterphänomenen widerzuspiegeln. Herbststürme gibt es nicht mehr nur im Herbst, die letzten großen Überschwemmungen haben erst vor einigen Wochen stattgefunden. Aber denken wir wirklich noch daran?

Beim Einkaufen waren schon seit Anfang September alle möglichen Formen von Lebkuchen und Marzipan und ähnlichen Artikeln zu sehen, die auf Weihnachten verweisen – auch wenn es noch 2½ Monate bis dahin sind.

Davor liegt aber erste einmale Halloween mit seinen unvermeidlich grinsenden Kürbissen. Ein US-Import, der meiner Meinung nach durchaus verzichtbar gewesen wäre. Aber wenn es den vollen Kassen dient…

Noch vollere Kassen verspricht seit einigen Jahren der Prime Day, also ein Tag, an dem bestimmte Artikel zu einem besonders günstigen Preis angeboten werden. Bei näherem Hinsehen sind manche Angebote dann nicht mehr gar so günstig: Ware, die aus dem Sortiment herausfallen. Verkaufstechnisches Fallobst gewissermaßen und damit durchaus in den Herbst passend.

Beim Stichwort „Herbst“ fällt mir – altersbedingt – „der Herbst des Lebens“ ein. Für mich finde ich das nicht eben passend. Zwar werde ich im nächsten März 70 – und? Mich interessiert diese Zahl nicht besonders, denn wie ich in einem anderen Beitrag schon einmal schrieb, werde ich an das Alter erst nach meinem 150. Geburtstag glauben. Solange ich meine Neugier auf das Leben nicht verliere, kann ich mich nicht als alt verstehen.

Aber zurück zum Herbst. Es ist dann noch zu früh, das ganze Jahr zu bilanzieren, aber es deuten sich doch schon gewisse Eindrücke an, was man von den vergangenen Monaten in der Rückschau zu halten hat. Vielleicht wagt man ja auch schon einen vorsichtigen Blick voraus. Er ist also nicht nur im meteorologischen Sinn eine Zeit des Übergangs.

Solche Übergänge haben an Bedeutung verloren. Wenn schon im September mit den Angeboten in den Läden gewissermaßen die Vorweihnachtszeit beginnt, dann wird diese Zeit ziemlich unziemlich in die Länge gezogen. Oder denken Sie jetzt schon an Weihnachten? Ich jedenfalls nicht, zumal dieses Fest für mich nicht mehr eine Art Höhepunkt vor dem Ende des Jahres darstellt. Es sind eher Tage, die man irgendwie hinter sich bringen muß: das Programm im Fernsehen ist ziemlich vorhersehbar, es wird wahrscheinlich wieder zu viel gegessen und, und, und. Da kann man sich doch eigentlich nur noch auf das neue Jahr freuen.