Der Rote Faden

Von Rolf Mackowiak

Jahreswechsel

Also ist der Jahreswechsel doch eher etwas für Melancholiker.

Kaum ist Weihnachten überstanden, da droht schon die nächste Katastrophe: der Jahreswechsel. Aber eigentlich ändert sich ja nur eine Ziffer der Jahreszahl; wirklich spürbar wird dieser Wechsel nur durch seine Begleiterscheinungen: die vielen Jahresrückblicke und die vorsichtigen Blicke ins nächste Jahr. Aber wer hätte vor kurzem mit dem Auftreten einer neuen Corona-Variante gerechnet? Vorhersehbar war das nun wirklich nicht, und so wird das neue Jahr uns – wie gewohnt – so manche Überraschung bescheren.

Der Jahreswechsel – übrigens nur nach dem Gregorianischen Kalender – ist also eine ziemlich willkürliche Terminwahl. Dennoch verleitet er dazu, das vergangene Jahr zu bilanzieren, und wer sich unbedingt blamieren will, faßt noch schnell ein paar gute Vorsätze für das neue.

Vom dänischen Philosophen Søren Kierkegaard stammt die Aussage, das Leben verstehen könne man nur in der Rückschau, leben müsse man es aber nach vorne gewandt (etwas frei von mir umformuliert).

Was verbinde ich persönlich mit einem Jahreswechsel? Ehrlich gesagt, nicht sehr viel. Ich muß mich an eine neue Jahreszahl gewöhnen, und das war es im Wesentlichen. Da sowohl in diesem als auch im letzten Jahr die gewohnte Silvester-Knallerei kaum stattfand, ist der Jahreswechsel eher ruhiger Natur. Meines Erachtens kein großer Verlust und vor allem die Besitzer von Haustieren dürften erleichtert sein. Und der traditionelle Kartoffelsalat mit Würstchen ist nun wirklich kein kulinarisches Highlight.

Ich wühle mal ein wenig in der übervollen Kiste meiner Erinnerungen und zum Thema werde ich bei Erich Kästner fündig: Wir fragen uns immer / wird’s besser, wird’s schlimmer / doch seien wir ehrlich / das Leben ist immer / lebensgefährlich. Also „Same procedure as last year?“

Nicht so ganz, auch wenn sich beim Thema Corona wohl bei jedem ein gewisses Déjà-vu einstellt: Hatten wir das alles nicht schon mal, die Erwägung von Schulschließungen usw? Und ewig grüßt das Murmeltier, auch wenn es diesmal Olaf Scholz heißt. Ist denn schon mal aufgefallen, daß wir eine neue Regierung haben? Nö, nicht so richtig. Es gibt zwar einige Ankündigungen wie die Erhöhung des Mindestlohns, aber die Erhöhung der Sätze der Grundsicherung ist bei 3 € monatlich geblieben, also knapp 10 Cent pro Tag. Ein Fest für Prasser!

Was bekommt man heute für 9,86 Cent? In meiner Kindheit bekam man für 10 Pfennig (‘n Groschen) 5 dünne Sahnebonbons oder 2 dicke. Oder 2 Lakritzschnecken. So billig käme ich heute nicht davon. Auch die Kleinigkeiten sind kleiner geworden bzw. teurer.

Aber genug der Mäkelei. Wir bekommen ein nagelneues Jahr, fabrikneu – allerdings ohne Garantie, und auch der Umtausch ist ausgeschlossen. Sind wenigstens die Batterien dabei, oder muß wieder alles per Hand erledigt werden? Welcher Halunke hat eigentlich das Monopol auf neue Jahre? Wäre da nicht einmal eine Enteignung sinnvoll? Aber dahinter steckt bestimmt eine Briefkastenfirma auf den Bahamas oder in Dubai und ist rechtlich damit nicht greifbar.

Also müssen wir das neue Jahr wohl so nehmen, wie es geliefert wird. Dabei ist klar, daß es nur eine begrenzte Haltbarkeit hat: Nach 12 Monaten ist es hin, und die Aussicht auf eine kostenlose Ersatzlieferung des neuesten Modells ist auch nur wenig tröstlich.

Also ist der Jahreswechsel doch eher etwas für Melancholiker.