„Ordnung ist das halbe Leben.“ Den Satz hat wohl jeder schon einmal als mehr oder weniger dezente Aufforderung gehört, genau diesen Zustand wiederherzustellen.
Der Rote Faden
Von Rolf Mackowiak
Ordnung
Wobei die Vorstellungen darüber, was Ordnung denn nun ist, durchaus differieren können. Mir fällt dazu ein Satz ein, der das vermeintliche? Gegenteil von Ordnung betrifft: Das Chaos? Die Ordnung vor der Schöpfung.
Unser Verhältnis zur Ordnung ist ein wenig widersprüchlich. Auf der einen Seite wird die Ordnung hochgelobt, aber ein Satz wie „Nur das Genie beherrscht das Chaos“ relativiert das.
Es gibt eine Unzahl von Ratgebern, die sich – meist auf den Haushalt bezogen – damit beschäftigen, wie man denn diesen Zustand erreicht bzw. möglichst dauerhaft erhält. Ein aufgeräumtes Zimmer steht als Sinnbild für den Zustand der Ordnung. Aber da kann es auch einen Umschlag in der Sichtweise geben. Ein allzu penibel auf Ordnung getrimmtes Zimmer wirkt oft steril, unbewohnt, ja unlebendig.
Ordnung setzt eine gewisse Systematik voraus, denn nach bestimmten Kriterien müssen die Dinge geordnet sein. Dabei kann es verschiedene Systematiken nebeneinander geben, die zwar unterschiedliche Ergebnisse liefern, in sich aber eine schlüssige Reihenfolge in der Ordnung der Dinge haben. Ob ich z. B. Bücher nach dem Autorennamen sortiere oder vielleicht nach dem Sachgebiet, ist weitgehend eine persönliche Entscheidung. Egal, wie die Ordnung oder Sortierung aussieht, ihr Zweck besteht oft in der Wiederauffindbarkeit eines bestimmten Gegenstands.
Ich bin im Haus Martin, der Einrichtung, in der ich wohne, vor kurzem in eine andere Etage und damit Wohngruppe gezogen. In der Küche war bei mir anfangs das große Suchen angesagt. Am leichtesten war das beim Besteck – aber wo im Einzelnen sich welcher Topf bzw. welche Schüssel befand, war oft nicht so einfach herauszufinden und manchmal half einfach nur die Nachfrage.
Was sich also im Zustand einer Ordnung befindet, muß die Wiederauffindbarkeit nicht zwangsläufig erleichtern, weil sich mir diese Ordnungskriterien nicht unmittelbar erschließen. Manchmal ist die über die Zeit entstandene Ordnung stark dem Zufall und der Gewöhnung geschuldet. Deshalb herrscht noch keine Unordnung, nur eine andere Ordnung als ich sie gewohnt bin.
Aber es gibt auch Ordnungen, die sich gar nicht sortieren oder verändern lassen. Das aus der Quelle entspringende Wasser in einem Rinnsal verbindet sich vielleicht mit anderen zu einem Bach, der in einen Fluß, dann in einen Strom und vielleicht endlich ins Meer mündet. Diese Hierarchie läßt sich nicht verändern.
Wie ich eben schon sagte, braucht eine Ordnung Kriterien, nach denen diese hergestellt wird. Wo aber kommen diese Kriterien her? Manche drängen sich förmlich auf, wie z. B. die Sortierung nach Größe, Länge usw. Andere Ordnungssysteme sind weniger offensichtlich. In der Chemie stand man lange vor dem Problem, wie denn die Elemente – soweit bekannt – sich in eine systematische Ordnung bringen lassen. Das lag auch daran, daß man sich über die genaue Natur der Atome nicht im Klaren war. Wenn man sich einmal eine Darstellung des Periodischen System der Elemente ansieht, wirkt es auf den ersten Blick nicht gerade überzeugend systematisch. Von oben frißt sich ein Bereich großer Leerstellen in ein grundsätzlich rechteckiges Bild. Aber wenn man sich die Sache genauer anschaut und ein wenig Hintergrundwissen hat, dann eröffnet sich diese Systematik fast von selbst.
Ein natürlicher Feind jeder Ordnung ist die Entropie. Entropie bedeutet verkürzt, daß alle Systeme einen Zustand höchster Ungeordnetheit zustreben. Ohne Energie, die von außen zugeführt wird, kann ein System nicht im Zustand der Ordnung gehalten werden. (Warum muß ich dabei jetzt an mein Zimmer denken?)
Im Weltraum gibt es etwa 100 Milliarden Galaxien, viele oft größer als unsere heimatliche. Was auf astronomischen Fotos sehr ungestaltet aussieht, ist es durchaus nicht. Da gibt es die lokale Gruppe, die einen Raum von 5 – 8 Millionen Lichtjahren umspannt. Mit anderen Wor-ten: die Galaxien sind nicht homogen im Weltraum verteilt, sondern ordnen sich zu Gruppen und Super-Gruppen.
Oder nehmen wir ein anderes Beispiel für Selbstorganisation, den Ameisenstaat. Was sich auf den ersten Blick wie ein wirres Gewusel ausnimmt, ist ausgesprochen stark organisiert.
Dem physikalischen Prinzip der Entropie steht also eine Tendenz zur Selbstorganisation entgegen: Was lebt, stemmt sich gegen die Entropie.
Aber die Ordnung hat noch ein anderes Gesicht, z. B. in der staatlichen Ordnung. Die Bundesrepublik ist sehr hierarchisch geordnet: von den Gemeinden über die Landkreise und Bundesländer bis zum Bundesstaat. Wie dieses Beispiel zeigt, werden Ordnung und Hierarchie oft miteinander verknüpft. Wesentlich stärker ausgeprägt ist das etwa in Frankreich, das eine ausgeprägte Orientierung auf die Hauptstadt Paris aufweist.
Auch die Kombination „Recht und Ordnung“ hatte in der Frühzeit der Bundesrepublik Konjunktur. Das Ziel war, die geltenden gesellschaftlichen Verhältnisse zu zementieren. Meiner Meinung nach war das keine gute Zeit für die Demokratie und in ihrer Wirkung ähnlich verheerend wie die Floskel von der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, in deren Folge eine eher anti-demokratische Politik gemacht wurde. Da wurde Ordnung als etwas Statisches gesehen, und Veränderungen waren beinahe suspekt. Aber jedes dynamische System wie die Gesellschaft lebt vom Wandel. Was sich nicht wandelt, stirbt irgendwann ab. Wolf Biermann hat das mal in die Worte „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu“ gefaßt.
Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, dann sehe ich einige tiefgreifende Veränderungen an mir und ich möchte auf keinen Fall wieder zu der Person werden, die ich vor 20 oder 30 Jahren war. So wie ich jetzt bin, bin ich in Ordnung.