Altmeister Goethe würde mit der Orthographie seiner Erstausgaben ein heutiges Abitur nicht bestehen.
Der Rote Faden
Von Rolf Mackowiak
Rechtschreibung
Mir liegt sehr an einer klaren und möglichst gut lesbaren Sprache. Dazu trägt bei, wenn das Geschriebene den Leser nicht durch fehlerhafte Schreibung vor Verständnisprobleme stellt.
Klingt ganz einfach.
Der wohl bekannteste Helfer in dieser Hinsicht ist der Duden. Er stellt gewissermaßen die Richtschnur für eine korrekte Schreibung dar. Verbindlich ist er jedoch nur in der Schule und für Behörden. Privat könnte ich also durchaus von diesen Regeln abweichen; es ist meine Entscheidung.
Der Duden befaßt sich allerdings nur mit der hochdeutschen Sprache, und da kann es ein wenig kitzlich werden. Aufgefallen? Korrekt hätte es natürlich „kitzlig“ heißen müssen, aber wenn ich ehrlich bin, dann folgt meine Aussprache doch eher der falschen Schreibweise. Wir sprechen also durchaus nicht so, wie wir schreiben.
Dabei sind regionale Unterschiede im Sprachgebrauch fast die Regel. Ich kenne noch die Ansicht, die Hannoveraner sprächen das korrekteste Deutsch, weil sie „über einen s-pitzen S-tein s-tolpern“, wo der Rest des Landes „über einen sch-pitzen Sch-tein sch-tolpert“. Welche Aussprache da wohl wirklich als korrekt zu bezeichnen ist?
Das Stichwort dazu lautet „Dialekt“. Ein Dialekt ist eine von dem Hochdeutschen abweichende Form des Deutschen. Diese Abweichungen können unterschiedlich stark ausfallen. Als gebürtigem Norddeutschen ist mir das Niederdeutsche, dort meist einfach „Platt“ oder „Plattdüütsch“ genannt, einigermaßen vertraut. Bei meiner Recherche zu diesem Beitrag fand ich die Ansicht, es handele sich dabei um einen norddeutschen Dialekt. Vielleicht schlägt da meine Verbundenheit mit der Region zu stark durch, denn ich würde das Niederdeutsche als durchaus eigenständige Sprache mit einer umfangreichen Literatur ansehen, also nicht als eine Variante des Hochdeutschen. Den Streit überlasse ich getrost der Sprachwissenschaft.
Als ich vor etlichen Jahren nach Aachen kam, fiel mir die Verständigung mit den Einheimischen überhaupt nicht schwer, aber mir fiel natürlich auf, daß manches doch auf sehr unvertraute Weise ausgedrückt wurde. Der Frage „Hast du kalt?“ begegnete ich mit deutlichem Unverständnis und auch andere Formulierungen bedurften der Nachfrage. Dabei hatten diese Leute nicht einmal im örtlichen Öcher Platt gesprochen. In dem Fall bin ich auch heute noch weitgehend Sprach-los.
Diese Beispiele zeigen, daß die gängige Rechtschreibung in der Hauptsache das Hochdeutsche betrifft, das ich mal in Umkehrung der üblichen Sichtweise als Sonderfall der deutschen Sprache bezeichnen möchte.
Außerdem gibt es ja noch den Faktor Zeit. Wer einmal in alten Büchern, vielleicht sogar Originalausgaben, gestöbert hat, dem wird das bekannt sein. Altmeister Goethe würde mit der Orthographie seiner Erstausgaben ein heutiges Abitur nicht bestehen. Es gibt im Laufe der Zeit auch Bedeutungsverschiebungen. Den Begriff „Notdurft“ beziehen wir heute nur auf die Verdauung, er stand aber früher für alles, was ein Mensch zum Leben braucht.
Eine ganz andere Kategorie sind bewußte Verletzungen der Regeln oder gar eine völlige Ablehnung derselben. Ein Beispiel für letzteres bietet das sog. „Starckdeutsch“, das Matthias Koeppel auf den Weg brachte. Da können sich Aussprache und Schreibweise schon mal drastisch vom Hochdeutschen unterscheiden, ja es ist sogar die entscheidende Regel, sich weit davon zu entfernen. Das klingt und liest sich ganz amüsant, aber ein Gespräch auf Starckdeutsch mag ich mir gar nicht erst vorstellen.
Ähnlich befremdlich haben auf mich die Dialekt-Gedichte von H. C. Artmann gewirkt. Da war ich mir auch nach mehrmaligem Hören bzw. Lesen nicht sicher, alles auch in seiner gesamten Bedeutung verstanden zu haben. Anstrengend war es auf jeden Fall.
Die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz ging da einen anderen Weg. Sie hatte eine sehr eigenwillige Zeichensetzung (zumindest in den Kolumnen der „Weltwoche“). Da konnte sich ein Sinnzusammenhang auf formal mehrere Sätze verteilen. Das ergab – ähnlich wie mit Akzenten – eine andere Wertigkeit der einzelnen Elemente. Aber leicht zu lesen war das nicht immer. Auch hier kann ich sagen: Nicht ohne Reiz, aber nur bedingt alltagstauglich.
Diese Beispiele zeigen, daß eine normierte Rechtschreibung eine wichtige Verständnishilfe darstellen kann. Wie verwirrend auch eine formal korrekte Zeichensetzung sein kann, hat Wolfgang Hildesheimer in seinem schmalen Buch „Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge und anderes“ gezeigt. Einer der ersten Sätze reichte über etwa 1 ½ Druckseiten, und ich war am Ende froh, aus diesem Schachtelsatz herausgefunden zu haben.
Eine korrekte Schreibung ist also nur ein Element, das zur Verständlichkeit eines Textes beiträgt. Ich treibe es zwar nicht so arg wie Hildesheimer, aber eine Neigung zu verschachtelten Sätzen kann ich nicht verleugnen. Ich kann mich aber auch bremsen.
Der Rechtschreibung zur Seite steht die Grammatik, die die Regeln für den Satzbau enthält. Wer „Asterix bei den Briten“ kennt, kennt auch den Satzbau, der aus dem Englischen direkt auf das Deutsche übertragen wurde und so befremdliche Sätze wie „Das ist lustig, ist es nicht?“ hervorbrachte.
Ein syntaktisch korrekter Satz kann völlig sinnfreien Inhalt transportieren: „Das Haus brennt viereckig“ ist zwar richtig gebildet, aber weitgehend sinnlos. Da muß der grammatische Rohbau auch sinnvoll ergänzt werden.
An dem Punkt fallen mir kleine Kinder ein. Wenn ich mir vergegenwärtige, welche Leistung sie erbringen, wenn sie sprechen lernen, dann befällt mich Ehrfurcht vor diesen kleinen Wesen. Erinnern Sie sich einfach an den fremdsprachlichen Unterricht in der Schule, und Sie wissen, was ich meine.