Bleiben wir erst einmal beim segensreichen Teil.
Der Rote Faden
Von Rolf Mackowiak
Regen
Der Regen berührt uns auf verschiedene Weise. Die Vegetation braucht ihn, wenn man aber im Regen unterwegs ist, kann er sehr lästig sein. Mir als Brillenträger ist vor allem feiner Niesel unwillkommen, da er die Sicht stark behindert.
Bleiben wir erst einmal beim segensreichen Teil. Ein mäßiger und gleichmäßiger Regen ist gut für die Vegetation. Das Wasser kann in die Erde eindringen, es läuft nicht in Rinnsalen in die Kanalisation und ist dann für eine weitere Nutzung nicht verfügbar.
In den letzten Monaten allerdings konnten wir auch die andere Seite des Regens beobachten. Sogenannter „Starkregen“ überforderte vielerorts die Abflußmöglichkeiten und setzte weiträumig Städte und Landschaft unter Wasser. Die Ereignisse im Ahrtal waren für viele Menschen verheerend und die Beseitigung aller Schäden dürfte noch Jahre in Anspruch nehmen.
Diese Häufung solcher Ereignisse wirft einige Fragen auf. Waren sie nicht abzusehen oder sind wir blauäugig davon ausgegangen, daß es schon beim nächsten Mal nicht so schlimm kommen werde? Es ist ja nicht allein die Häufung und die gestiegene Intensität, die nachdenklich macht. Wir müssen uns auch fragen, welchen Anteil unser Verhalten dabei spielt.
Wasser hat ja keine bestimmte Form, es paßt sich einfach den Formen an, auch geographischen. Welche fast unglaubliche Kraft es dabei entfalten kann, ist unübersehbar. Es sind ja nicht nur die klimatischen Veränderungen, die dabei spürbar werden. Auch unser Umgang mit diesen Gegebenheiten wird dabei massiv in Frage gestellt. Muß die Bebauung wirklich so in die Ufernähe ausgedehnt werden? Muß jede Hanglage für die Bebauung genutzt werden? War die Begradigung von Flüssen und Bächen wirklich eine so gute Idee?
In Bayern steht man jetzt ein wenig ungläubig vor der Tatsache, daß zwar Polderflächen, die das verstärkte Wasseraufkommen aufnehmen sollten, geplant waren – nur bei der Umsetzung läßt sich eine Zurückhaltung feststellen, die an Nachlässigkeit grenzt. Konkret wurden von 7 geplanten Rückhalteflächen, die bis 2020 eingerichtet werden sollten, nur 2 realisiert. Die Planung reicht aber schon bis 2001 zurück. Ein zügiger Ausbau war das also nicht.
Ein Grund für diese Verzögerung liegt aber auch im Widerstand der dort ansässigen Bewohner. So werden die Polderflächen natürlich einer landwirtschaftlichen Nutzung entzogen und auch sonst sind die Anwohner über mögliche Einschränkungen nicht immer begeistert.
Zuverlässig wie die Sonne nach dem Regen kommen dann mehr oder weniger obskure Erklärungen aus der Politik. „Die Leute wollen das nicht“ meinte Herr Wissing zur Frage eines Tempolimits auf den Straßen, vor allem auf der Autobahn. Wenn Umfragen da etwas Anderes sagen – er hat sie ja nicht in Auftrag gegeben.
Das Pippi-Langstrumpf-Prinzip gilt: Ich mache mir die Welt widi-widi-wie sie mir gefällt. Die Frage ist nur, ob die Welt da mitspielt.
Es ist für mich immer wieder ärgerlich, wie mit solchen Schein-Argumenten á la Herrn Tur Tur (dem Scheinriesen bei Lukas und Jim Knopf) dann Fakten einfach abgebügelt werden. Was mir nicht ins Konzept paßt, das gibt es auch nicht – oder nur im Kleingedruckten.
Wenn ich so etwas schreibe, fühle ich mich etwas unwohl. Schließlich bin ich von der Richtigkeit meiner Meinungen und Haltungen überzeugt, sonst würde ich sie nicht vertreten. Aber ich fühle mich da manchmal an eine Figur aus einem kleinen Strip erinnert, den ich in der »Pardon« las. Ein triumphierender Gesichtsausdruck, verbunden mit der Aussage „Früher kannte ich alle Antworten“. Daneben mit einer eher niedergeschlagenen Miene: „Jetzt stelle ich andere Fragen“.
Stelle ich jetzt die richtigen Fragen? Das kann ich nur hoffen, eine Gewißheit gibt es dabei nicht. Wie sehr sich solche scheinbaren Gewißheiten in Wohlgefallen auflösen können, zeigt sich an einem Beispiel aus meiner norddeutschen Heimat. Die sog. Kultivierung der Moore, also faktisch ihre Entwässerung, galt lange als der richtige Weg für deren Nutzung. Jetzt wird aber für viele Gebiete eine Wiedervernässung angepeilt, weil die negativen Folgen für die Landschaft zu offensichtlich werden.
Starker Regen kann auch deshalb so verheerende Folgen haben, weil die Landschaft zunehmend versiegelt wird, d. h. der Regen kann nicht mehr vom Boden aufgenommen werden, weil er ihn gar nicht mehr erreicht. Auch die Landwirtschaft trägt einen guten Teil dazu bei. Die Traktoren sind immer größer und damit auch schwerer geworden, und allein das Gewicht trägt zu einer Verdichtung der Böden bei, was sehr direkte Folgen für die im Boden lebenden Tiere mit sich bringt.
Wir sind es einfach nicht gewohnt, in systemischen Zusammenhängen zu denken. An dem Begriff der „Stellschraube“, an der es nur zu drehen gilt, kann man die Eindimensionalität dieses Denkens ablesen. Es gilt eben kein mathematisch-einfaches „wenn A, dann B“, sondern die Zusammenhänge sind komplexer, eben vernetzt.
Es gibt eine bekannte lateinische Frage: cui bono? Wem nutzt es? Nicht alle an einem Prozeß Beteiligten gehören ja auch zu ihren Nutznießern. Der Bauernverband hat über lange Jahre hauptsächlich die Interessen der agrarischen Großproduzenten im Blick gehabt und es geschickt verstanden, alle Bauern vor ihren Karren zu spannen. Das gelingt auch heute noch ziemlich gut, wie die letzten Bauernproteste wegen der Diesel-Subventionen zeigte.
Es ist oftmals nützlich zu betrachten, wer hinter welcher Initiative steckt. So ist der Bund der Steuerzahler durchaus kein Verband vom Finanzamt genervter Privatpersonen, sondern – ein Industrieverband! Da braucht man nicht lange zu grübeln, wessen Interessen im Vordergrund stehen.
Eine meiner Lieblingsfiguren aus dem „Herrn der Ringe“ ist Baumbart alias Fangorn. Auf die Frage, auf wessen Seite er den stehe, meint er: Ich stehe nie ganz auf jemandes Seite, weil nie jemand ganz auf meiner Seite steht.
Wir vergessen zu oft, welche unterschiedlichen Interessen mit einer Sache verbunden sein können. Das sollte man möglichst neutral sehen, so schwer das auch fallen mag. Was ich für mich will und als das Beste ansehe, muß für meinen Nachbarn nicht in gleicher Weise gelten. Wer in der Stadt wohnt, kann leichter auf ein eigenes Auto verzichten als jemand im ländlichen Raum. Das ist erst einmal nicht besser oder schlechter, sondern schlicht anders,
weil auch die Lebensverhältnisse anders sind. So gesehen: Es gibt nicht auf jede Frage eine für alle gültige Antwort. „Wat den enen sin Uhl, is den annern sin Nachtigal“ sagt man in meiner norddeutschen Heimat.
Was für mich als Flachländler eine überraschende Sichtweise ergab, war eine Klassenfahrt in nicht ganz so flaches Gelände. Zu sehen, wie da eine Wolke abregnete, war für mich neu: Die Wolken stülpten sich da, wo es regnete, nach unten zur Erde herab. Bis dahin waren Wolken und Regen für mich etwas Getrenntes. Da die Wolken, da der Regen. Ohne Wolken kein Regen – das war mir schon klar, aber den sinnlichen Eindruck, wie sich die Wolken zur Erde hin ausweiteten, den hatte ich bis dahin nicht.
Ein ähnliches Aha-Erlebnis hatte ich bei Deichen. Die wirken ja ungemein massiv und sind oft auch wegen ihrer Höhe beeindruckend. Was ich dabei übersehen habe: Diese massiven Gebilde bestehen aus kleinen Bestandteilen, zwischen denen Lücken bestehen. In die wird bei einer Flut viel von dem Wasser hineingepreßt und im schlimmsten Fall ergibt sich daraus ein Wasserlauf, der durch den Deich hindurchfließt und ihn an dieser Stelle brechen läßt. Da löst sich die Grenze zwischen festem Material und fließendem Wasser auf.
Regen hat noch eine andere Dimension, nämlich eine klangliche. Er kann das sanfte Rauschen eines leichten Regens haben, wenn er aus dem Laubwerk der Bäume herabrinnt, aber eben auch, vom Wind gepeitscht, recht unsanft gegen die Fensterscheiben schlagen. Damit zeigt er dann gewissermaßen seine zwei Gesichter: das sanfte und das kräftig-machtvolle.