Alle Erkenntnisse sind vorläufig.
Der Rote Faden
Von Rolf Mackowiak
Wer die Wahl hat
Wer die Wahl hat…hat bekanntlich auch die Qual. Manchmal nur vor der Wahl, oft aber auch danach, wenn die Auswirkung einer Entscheidung so richtig sicht- oder fühlbar wird. Noch schlimmer, wenn man nicht allein an dieser Wahl beteiligt war, wie z. B. bei einer Bundes- oder Landtagswahl.
Bleiben wir einstweilen bei solchen Wahlen. Nach einer neuesten Umfrage findet die AfD gerade bei jungen Menschen zwischen 14 und 29 Jahren mit 22% großen Anklang. Damit wuchs die Zustimmung von 9% im Jahr 2022 auf den jetzigen Wert. Eine sehr große Veränderung also. In dem Zusammenhang finde ich es bemerkenswert, wo sich diese Bevölkerungsgruppe informiert: 57% nutzen dazu Social-Media-Kanäle wie WhatsApp, Instagram und YouTube, TikTok rückt nach.
Das macht mich als Fan der „klassischen“ Medien wie Radio/Fernsehen und Tageszeitungen schon ziemlich ratlos. Bei denen gehe ich – allen Unkenrufen zum Trotz – davon aus, daß hinter den Nachrichten Recherche steht. Wie das bei den erwähnten Medien aussieht, weiß ich nicht, da ich sie nicht nutze.
Nachdenklich macht mich auch, daß weltweit autoritäre Regime auf dem Vormarsch sind. Ich habe die Befürchtung, daß demokratische Systeme immer weniger Zustimmung finden, auch weil sie anstrengender sind. Nachdenken erfordert Zeit, sich zu informieren und diese Informationen zu bewerten. Oft sind freie Medien auch gar nicht verfügbar, und nicht nur in Rußland oder China sind sie geradezu unerwünscht.
In dem Zusammenhang frage ich mich manchmal, wie es denn um meine Gedanken und Meinungen bestellt wäre, gäbe es dieses freie Informationsangebot nicht. Was mir nicht zur Kenntnis kommt, bleibt eben folgenlos. Auf der anderen Seite: Das Internet bietet ja zu wirklich jedem Thema reichlich Information. Warum schlägt sich das nicht nieder?
Ich weiß aber von mir selbst, daß nicht jede Information bei mir den gleichen Stellenwert hat. Was meinen Überzeugungen entspricht, findet bei mir viel leichter Zustimmung als Informationen, die an meinem Weltbild nicht wenigstens ein wenig kratzen. Ich gebe es ungern zu, kann es aber nicht abweisen: Auch ich habe vorgefaßte Meinungen, die neue Informationen filtern, im schlimmsten Fall sogar ausblenden können.
Bevor ich mich für eine Meinung entscheide, entscheide ich auch, welche Informationen ich für relevant halte. Da wirkt also ein doppelter Filter: welche Informationen ich verwende und wie ich sie verwendet. Den Anspruch auf eine wie auch immer geartete „objektive“ Meinung kann ich jedenfalls nicht erheben.
Ist meine Meinung deswegen aber schon nicht oder nur unvollkommen begründet? Ich hoffe nicht, denn die Voraussetzungen, auf denen meine Auswahl beruht, haben sich ja in meinem Fall über Jahrzehnte entwickelt und ich würde mich von Irrtum zu Irrtum hangeln, hätten sie nicht eine wenigstens einigermaßen solide Basis. Ich darf nur nicht dem Irrtum verfallen, ich hätte alles bedacht. Eine neue Information kann meine Meinung durchaus ins Wanken bringen, mich vielleicht sogar zu einer anderen Einstellung führen.
Es ist wie in der Wissenschaft: alle Erkenntnisse sind vorläufig. Das klingt jetzt ein wenig nach Beliebigkeit, aber genau das ist nicht gemeint. Was heute noch sicheres Wissen zu sein scheint, kann sich nach gewisser Zeit z. B. als ein Sonderfall erweisen, der nicht allgemeingültig ist. Das macht ja unser Wissen nicht wertlos, aber es stellt oft nur eine Annäherung dar. Man muß sich nur unsere Vorstellung über die Position der Erde im Universum anschauen. Die hat ja eine gewaltige Veränderung durchgemacht. Anfangs war die Erde das Zentrum, dann wenigstens die Sonne mit ihren Planeten. Heute wissen wir, daß wir uns in einem Seitenarm unserer Milchstraße befinden und damit keine hervorgehobene Position einnehmen.
Wie viele Galaxien es im Universum gibt, ist ein weiteres Beispiel dafür, wie neue Erkenntnisse unseren Horizont im wahrsten Sinne erweitern. Hielt man lange eine Zahl von etwa 100 Milliarden Galaxien für realistisch, so wird sie heute nach den Ergebnissen des Hubble-Weltraumteleskops 10fach höher geschätzt. Und das muß nicht das Ende sein.
Zurück zur Erde, auf der sich ja unser Leben abspielt. Da haben wir eindeutig nicht die Wahl. Also sollten wir auch alles daransetzen, sie zu erhalten. Der Weg dahin ist allerdings strittig. Man denke an die Entscheidung der EG zurück, die Atomkraft als klimaschonend einzustufen. Eindeutig ist, daß Atomkraftwerke während des Betriebs wenig CO2 abgeben. Wenn man sich aber den gesamten „Lebenszyklus“ anschaut – Abbau des Urans, Bau der Kraftwerke und die immer noch ungesicherte Endlagerung –, sieht die Sache anders aus. Ich mag und kann nicht entscheiden, was schwerwiegender ist. Allein der zeitliche Aspekt, bei dem eine Endlagerung über Zeiträume gesichert sein muß, die sich unserem Verständnis schlicht entziehen, lassen bei mir große Zweifel zurück.
Unser Alltag ist nicht frei von Fallstricken ähnlicher Art. Esse ich jetzt das Stück Torte und verschaffe mir damit einen angenehmen Reiz oder denke ich an die Folgen für mein Gewicht und die Gesundheit? Fliege ich in den Urlaub oder wähle ich eine umweltschonendere Art, ihn zu verbringen? Die Liste solcher Fragen ließe sich fast beliebig verlängern.
Um es auf eine kurze Formel zu bringen: Unser Leben ist immer effektiv, d. h. es hat eine Wirkung. Es effizient zu gestalten, also eingesetzte Mittel ins Verhältnis zum Ergebnis zu setzen, verlangt da schon ein wenig Überlegung und damit Anstrengung.
Aber sind wir uns die nicht wert?