Der Rote Faden

Von Rolf Mackowiak

Träume

Einschlafen, Leichtschlaf, Tiefschlaf, Traumschlaf

Der erste Satz, der mir zu Träumen einfällt, ist die Behauptung, Träume seien Schäume, also vergänglich und wenig substantiell.

Ganz so kann es nicht sein, denn Bücher über Träume und deren wirkliche oder vermeintliche Bedeutung füllen Regalmeter. Da ist jedenfalls jede Menge Substanz.

Aber jeder weiß von sich, daß dieses nächtliche Geschehen namens Traum wirklich sehr flüchtig ist. Wenn man sich nicht sehr bemüht, ist der Inhalt der meisten Träume nach nur wenigen Minuten nicht mehr greifbar. Ausnahmen bestätigen da wohl eher die Regel.

Wenn man sich vor Augen führt, wie lange sich die Menschen schon mit Träumen beschäftigen, ist unser Wissen darum doch sehr bescheiden. Eine konsistente Vorstellung davon, warum wir überhaupt träumen, gibt es meines Wissens nicht. Da gibt es viele Ideen, die oft sehr theoretisch daherkommen und entsprechend wenig erklären.

Da sollten Träume etwa dazu dienen, unser Gedächtnis von überflüssigen Inhalten zu befreien. Wenn  ich mich aber an einen Traum erinnere, habe ich doch zusätzliche Erinnerungen. Für mich ein Widerspruch.

Oder sie sollten dazu dienen, das Tagesgeschehen in einen gewissen Ordnungsrahmen einzufügen. Wenn die Trauminhalte aber gar keinen Bezug zum Tag  haben – was soll da eingeordnet werden?

Tatsache ist aber, daß jeder Mensch jede Nacht träumt. Die Erinnerung an ihre Inhalte ist aber von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich ausgeprägt. Manche sind sogar der festen Meinung, sie träumten nie. Das ist falsch; nur die Erinnerung an die Träume fehlt.

Träume gehören zum Schlaf dazu. Der Schlaf selbst hat ja mehrere Phasen. Ein normaler Schlafzyklus dauert 90 bis 110 Minuten und unterteilt sich in vier Phasen: Einschlafen, Leichtschlaf, Tiefschlaf, Traumschlaf . Diese Phasen durchlaufen wir in der Nacht 4 – 6 Mal. Der Traumschlaf wird auch REM-Phase genannt, weil sich in ihr unsere Augen stark bewegen: Rapid Eye Movement.

Was genau wir träumen unterscheidet sich sehr stark. Es können wild zusammengewürfelte Bilder sein, aber auch einen vermeintlich langen Zeitraum umspannen. Eines ist aber allen Träumen gemeinsam: Wir sind meistens völlig unbeweglich. Ich kann mich allerdings an einen Traum erinnern, in dem ich kräftig nach einem mir verhaßten Menschen trat. Mein Fuß wurde zum Glück von der Lehne der Couch abgefangen, sonst hätte ich mir vielleicht sogar einen Zeh gebrochen.

Aber außer diesem nächtlichen Phänomen gibt es noch andere Träume. Das sind oft Wünsche nach etwas, das wir für sehr erstrebenswert halten. Es hat wenig mit dem üblichen Traumgeschehen zu tun, aber viel mit unseren Wünschen und Vorstellungen. Sie sind mehr oder weniger konkret und auf die Zukunft gerichtet. Wir wünschen uns ein langes Leben, materielle Sicherheit oder eine friedliche Zukunft. Es sind also oft Dinge, die wir nicht vollständig in der Hand haben. Materieller Wohlstand ist wohl am einfachsten zu realisieren. Anderes liegt einfach nicht in unserer Hand: Gesundheit, ein erfülltes Leben usw.

In unserer Fantasie allerdings können diese Dinge fast ein wenig konkret werden. Wir stellen uns einen schönen Urlaub vor, der alles enthält – was immer das konkret sein mag. Auch ohne den Traum, wie ein Vogel zu fliegen, hätte es wohl kaum Versuche gegeben, Maschinen zu entwickeln, die uns diesem Traum wenigstens nahe bringen.

Manchmal sind diese Träume auch Anlaß für uns, unser Leben zu verändern. Die Devise „Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum“ gibt dem Ausdruck. Dem sind in unserer Welt oft Grenzen gesetzt, aber manchmal können wir selbst entscheiden, wo diese Grenze verläuft: Mit dem Rad um die Welt zu reisen ist z. B. so ein ambitionierter Traum. Er läßt sich realisieren, ist aber auch mit vielen Hindernissen verbunden.

Man muß sich also überwinden, wenn man seinen Träumen folgen will. Ich fand vor einiger Zeit einen Satz, der auf Deutsch „Angst tötet mehr Träume als es Fehlschläge je könnten“ lautet. Wie immer bei solchen apodiktischen Aussagen ist das mehr als „Trendmeldung“ zu lesen, denn meiner Meinung nach sind Ängste oft auch ein wichtiges Warnsignal, das nicht ignoriert werden sollte.

Träume sind aber nicht immer nur positiv zu sehen. Ich kann mich an Träume erinnern, die mich doch ganz schön gebeutelt haben, weil ihr emotionaler Gehalt so stark war. Nach dem Tod meiner Eltern habe ich manchmal von ihnen geträumt, und es hat immer eine ganze Weile gedauert, bis mir dann nach dem Erwachen die Realität ihres Todes wieder voll zu Bewußtsein kam.

Ein ganz berühmter Traum, der auf die Realität zielt, ist der von Martin Luther King, den er in seiner Rede „I have a dream“ schilderte und in dem es um die Überwindung der Rassenschranken in den USA ging. Ähnlich wirkten auf mich einige Zeilen von Julie Driscoll aus ihrem Song „Walk down“ (erschienen 1970), in dem sie eine Zeit skizzierte, in der wir Menschen friedlich und liebevoll miteinander umgehen, wenn wir nur die ausgetretenen Pfade verlassen. Beides immer noch Utopie.

Solche Träume von einer – möglichen? – besseren Welt durchziehen die Jahrhunderte. Wir sind meiner Meinung nach ein wenig arm an solchen positiven Zukunftserwartungen geworden; der Realismus bzw. das, was wir dafür halten, hat uns fest im Griff. Die sog. 68er hatten dafür einen schönen Gegen-Satz: Seid realistisch – fordert das Unmögliche.