Der Rote Faden

Von Rolf Mackowiak

Seifenblasen

Wir würden ja nicht aufhören, Seifenblasen zu machen, nur weil wir wissen, daß sie bald zerplatzen. Bis dahin sind sie einfach schön.

Ich meine damit nicht die schönen und so vergänglichen Seifenblasen, die mich als Kind so fasziniert haben, sondern die Seifenblasen, die das Leben begleiten, also Illusionen.

Die meisten Menschen begreifen sich als vernünftige, also rationale Menschen. Nur ist es leider damit nicht so weit her. Wir machen uns in vielerlei Hinsicht Illusionen, und daran ist erst einmal nichts auszusetzen. Wer aufhört zu träumen verpaßt das Leben.

Aber Seifenblasen haben nun einmal wenig Substanz und so ist es auch mit unseren Träumen: Sie können uns ein Ziel setzen oder uns von der Wirklichkeit abkoppeln. Lange war der „Traum von Fliegen“ etwas für Träumer und Phantasten, und doch ist der Flugverkehr ein realer Begleiter unseres Lebens.

Andere Träume sind Träume geblieben, so z. B. der einer friedlichen Welt. Ich kann mich noch schmerzlich daran erinnern, wie nach dem Zerfall der Sowjetunion in mir die Hoffnung war, jetzt könne man sich auf die wirklich wichtigen Probleme auf der Welt konzentrieren. Das war sehr naiv von mir.

Aber es geht ja auch ein paar Nummern kleiner. Man trifft einen interessanten Menschen, von dem man meint, man könne es einige Zeit mit ihm aushalten. Nur daß sich dann herausstellt, daß dieser Wunsch sehr einseitig war. „Liebe ist der Triumph der Hoffnung über die Erfahrung.“ ist ein Satz, der mir dazu einfällt.

 Dabei könnten Seifenblasen ein gutes Beispiel für uns sein: Sie schillern, werden farblos und sind dann nicht mehr. Ich meine damit nicht, daß alle Träume wenig Substanz haben, sondern daß sie etwas auf Zeit sind. Meine Wünsche sind genauso Veränderungen unterworfen wie der Rest der Welt und oft genug erweisen sie sich als bunter Schein.

Ich bin natürlich für eine gesunde und intakte Umwelt – aber muß ich dafür wirklich Verzicht üben? Es sieht ganz so aus, als wäre auch das nicht zum Nulltarif zu haben. Das ist ja zum Beispiel eine der ganz großen Illusionen: daß solche Dinge anstrengungslos zu erreichen wären. Jeder weiß dies aus eigener Erfahrung, und darum mutet es so seltsam an, wenn Politiker darlegen, wie einfach große Veränderungen sein können: ein „Doppel-Wums“, aber schmerzlos.

Bis uns dann die Realität einholt. (Sie ist immer schneller und/oder hat den längeren Atem.) Und dann ist man mehr oder weniger enttäuscht. Wenn wir dann ehrlich zu uns sind, gestehen wir uns das Illusionäre ein – oder machen andere für das Zerplatzen dieser Seifenblase verantwortlich.

Dabei lebt z. B. die Werbung von solchen Illusionen. Das richtige Deo und die Welt liegt mir zu Füßen. Der richtige Snack und ich bleibe schlank wie eine Tanne. Das richtige Auto und die Welt hat keine Grenzen mehr. Niemand wird das für bare Münze nehmen, aber ein klein wenig füttert es doch unsere Träume.

Jetzt ist ja in der Politik die Frage anhängig, wer sich denn die größeren Illusionen im Umgang mit Rußland gemacht hat. Da waren sicher viele Illusionen im Spiel, aber ist diese Frage wirklich entscheidend? Es kommt doch darauf an, mit der jetzigen Situation zurecht zu kommen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Glauben, durch eine bessere Technik ließen sich quasi en passant alle Umweltprobleme lösen. Dem steht einfach die Physik im Weg: In einem endlichen System ist kein unendliches Wachstum möglich. Aber diese Illusion wird immer wieder gern beschworen. Neulich habe ich den Satz „Wer an ein unendliches Wachstum glaubt, ist entweder verrückt oder ein Ökonom“ gehört. So sieht es leider aus. Warum die Statements einer Branche, die hinterher immer alles erklären, aber keine verläßlichen Prognosen liefern kann, immer noch so hoch im Kurs stehen, bleibt mir ein Rätsel.

Wenn wir wissen, wie unverläßlich Illusionen sind, warum hängen wir ihnen oft so hartnäckig an? Ein Punkt ist sicher, daß bestimmte Umstände einfach unschön sind. Da bietet die Illusion doch wenigstens die Aussicht, es könne besser werden – auch wenn wir im Grunde wissen, wie wenig wahrscheinlich das ist.

Anders gesagt: Wir würden ja nicht aufhören, Seifenblasen zu machen, nur weil wir wissen, daß sie bald zerplatzen. Bis dahin sind sie einfach schön.