Der Rote Faden

Von Rolf Mackowiak

Sprache

Ich lese gerne, und als ich noch die Möglichkeit dazu hatte, gehörten zu meinem täglichen Lesestoff unweigerlich auch meine Lieblingszeitungen, die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Rundschau.

Ich lese gerne, und als ich noch die Möglichkeit dazu hatte, gehörten zu meinem täglichen Lesestoff unweigerlich auch meine Lieblingszeitungen, die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Rundschau. Die Süddeutsche hat mich umfassend informiert, die Rundschau hatte dazu den Fokus auf den The­men, die mich besonders interessieren, nämlich die demokratische Verfasstheit Deutschlands und die sozialen Verhältnisse.

Das zweite Standbein, mich politisch zu informieren, ist das Radio und dabei favorisiere ich die „textlas-tigen“ Programme von WDR 5 und Deutschlandfunk bzw. Deutschlandfunk Kultur.

Damit bin ich dann bei meinem Thema: Sprache, auch und gerade öffentliche Sprache. Es ist für mich schon interessant, wie sehr mit Sprache auch Politik gemacht werden kann. Ich erinnere mich noch gut daran, wie zu Zeiten einer SPD/FDP-Koalition die Diskussion über die Vermögensteuer vom FDP-Wirt­schaftsminister Lambsdorff mit dem Begriff der „Neidsteuer“ abgewürgt wurde.

Sprache kann also durch die Setzung bestimmter Begriffe durchaus heftige Wirkung zeigen. Aktuell ist ja unter anderem die Frage einer gender-gerechten Sprache virulent. Das ist hier ausdrücklich nicht mein Thema, so interessant ich es auch finde.

Ich erinnere mich noch gut an einen Satz, den ich im Radio hörte und der mich augenblicklich dazu brachte, meine Aufmerksamkeit dem Radio zuzuwenden. Es ging um die Diskussion über die Verschär­fung des Sexualstrafrechts. Welcher Politiker sich da äußerte, war mir entgangen und ist auch nicht so wichtig. Die Aussage war: Ob es sich bei dem Sex um eine Vergewaltigung gehandelt habe, entschiede eine Frau am Tag danach. Ich erinnere mich noch gut an die Fassungslosigkeit, die dieser Satz bei mir auslöste. Meine spontane Frage war, aus welchem Jahrhundert dieser Politiker denn übriggeblieben war, denn als zeitgemäß konnten diese Worte ja wohl kaum gelten. Für mich stellt eine solche Aussage eine unglaubliche Verächtlichkeit mindestens dem Thema, aber auch Frauen allgemein gegenüber dar. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass jeden dritten Tag die Gewalt in einer Paarbeziehung für die Frau tödlich endet, dann wirken diese Worte noch skandalöser.

In diesem Fall scheint in den Worten ein Weltbild bzw. eine Sicht auf Frauen auf, die dieser Politiker sicher nie explizit äußern würde. Insofern war es geradezu erfrischend, eine solche Aussage zu hören, auch wenn es sie nicht sympathischer macht.

Kennen wir nicht alle das Bekenntnis zu einer zukunftsorientierten Umweltpolitik? Da hilft es dann, sich an die Tatsachen zu halten. Nehmen wir das Thema der Reinhaltung des Grundwassers. Als gebürtiger Norddeutscher sind mir die Tankanhänger, mit denen die Gülle aus der Massentierhaltung auf die Äcker gebracht wird, noch gut in Erinnerung und in der Nase. Dies wird dann verharmlosend als „Verrieselung“ bezeichnet. Wem kommt da nicht das Bild leise rieselnden Schnees vor Augen? Nur, so idyl­lisch ist die ganze Sache nicht. Faktisch handelt es sich um eine Vergiftung des Grundwassers, die die Wasserwerke Milliarden dafür kostet, diese Nitrate aus dem Trinkwasser zu filtern. Das hinderte aber einen Vertreter des Bauernverbands nicht daran, diesen Zusammenhang zu leug­nen.

Nebenbei: Es gibt eine EU-Verordnung zur Grundwasserreinhaltung. Sie stammt schon aus den 60er Jahren und ist bis heute nicht in bundesdeutsches Recht umgesetzt, weshalb Deutschland von der EU-Kommission mit einer Klage gedroht wurde, die zu Strafzahlungen von mehreren 100 000 € führen könnte – täglich!

Das sind nur zwei Beispiele dafür, wie immer wieder versucht wird, durch sprachliche Mittel die Wirk­lichkeit zu schönen.

Es lohnt sich also, den Vertretern von Politik und Wirtschaft genau „aufs Maul“ zu schauen und nicht immer für bare Münze zu nehmen, was einem präsentiert wird.

Das sind aber nur Beispiele für einen politischen Sprachgebrauch. Es kann auch viel harmloser daher­kommen. Jeder erinnert sich bestimmt an die Bilder, die nach einem Massenunfall oder sonstigen Unglücken über den Bildschirm gehen. Wenn dann Bilder von der Bergung der Opfer gezeigt werden, ist nicht selten von den „sterblichen Überresten“ die Rede. Was, bitte, ist an diesen Toten noch sterblich? Oder internationale Konferenzen, von denen die Teilnehmer dann sagen, es sei in „offener Atmosphäre“ miteinander gesprochen worden. Klartext: Es war ziemlich kontrovers und man hat sich zeitweise regelrecht gefetzt.

Daneben gibt es ausgesprochene Tabu-Worte. Niemand würde heute noch von „Neger“ sprechen. Neulich habe ich dafür die Umschreibung „people of colour“ gehört. Ja, manchmal kann Sprache ziemlich bunt daherkommen.

Diese Beispiele zeigen, dass Sprache nicht nur dazu dient, sich mitzuteilen. Sie ist auch ganz wesentlich daran beteiligt, wie wir die Wirklichkeit wahrnehmen. Man muss nicht gleich so weit gehen wie der Philosoph Ludwig Wittgenstein, der konstatierte: „Worüber man nicht reden kann, davon muss man schweigen.“ Aber Sprach-Gewohnheiten können auch zu Seh-Gewohnheiten führen. Also Ohren auf und nicht auf Durchzug stellen!