Der Rote Faden

Von Rolf Mackowiak

Stille

Konstantin Wecker hat das einmal in die Worte gefaßt: Es sind nicht immer die Lauten stark, nur weil sie lautstark sind. Manchen gelingt das Leben leise viel echter.

Stille ist mehr als die Abwesenheit von Geräuschen. Stille kann etwas sehr Machtvolles sein, wenn ich mich von ihr erfassen lasse. Aber wann ist es wirklich still?

Ich setze mich dafür auf meine Couch und schalte alles ab, was irgendein Geräusch verursachen könnte. Augenblicklich wird es ruhig um mich. Aber dennoch ist es in den seltensten Fällen auch wirklich still. Auf dem Flur geht jemand entlang oder spielende Kinder in der Nähe sind bemerkbar. (Ich wundere mich manchmal, wie so kleine Wesen einen solchen Lärm veranstalten können, wenn sie miteinander spielen.) Es ist tagsüber nie wirklich still, denn aus irgendeiner Ecke dringen immer Geräusche an mein Ohr. Auch nachts ist es nicht wirklich still. Ich war einige Zeit obdachlos, und es war eine der überraschendsten Erfahrungen, wie laut Aachen in der Nacht sein kann, und dafür muß man nicht extra den Elisengarten besuchen.

Stille ist also etwas Rares. Wir sind von unzähligen Geräuschen umgeben, die wir oft gar nicht mehr bewußt wahrnehmen. Ich stelle mir manchmal vor, wie die Menschen wohl reagieren würden, wenn plötzlich alle Geräusche erstürben. Dieser fehlende Geräusch-Hintergrund wäre für viele wohl einfach nur verstörend, denn wir sind ihn gewohnt.

Ruhe und Stille sind also nicht identisch. Wenn ich „zur Ruhe komme“, muß es nicht still sein, ein Hintergrund an Alltagsgeräuschen ist dabei tolerabel. Stille ist, wie ich schon sagte, mehr als die Abwesenheit von Geräuschen. Stille hat in dem von mir gemeinten Sinn auch etwas mit meiner inneren Verfassung zu tun. Ich bin nur körperlich inaktiv, aber nicht wirklich ruhig, wenn mir tausend Gedanken durch den Kopf gehen. Das Kopfkino muß also auf Stand-by stehen, um wirklich zur Ruhe zu kommen. Erst dann kann ich mich für die Stille öffnen.

Wenn ich einmal ein Paradox bemühen darf: Stille ist der mächtigste Klang. Das bedürfte einer Erklärung, die ich nicht geben kann. Jeder muß diesen Zustand für sich selbst erfahren. Stille wirft mich wie ein Spiegel auf mich selbst zurück. Sie gibt mir die Gelegenheit, in mich selbst hineinzuhorchen, ohne Ablenkung.

In erster Linie aber ist Stille für mich eine Möglichkeit, Distanz zum Alltag zu gewinnen. Wo sich nichts aufdrängt, da kann manches aufblühen, das im Wust der täglichen Ereignisse leicht untergeht. Ein Beispiel aus meinem Erleben. Ich hatte einmal in einen Kinderwagen geschaut und das Kind darin angelächelt. Das Kind strahlte mit seinem noch zahnlosen Lächeln zurück, und dieser Eindruck von Lebensfreude, Freude am Dasein, begleitet mich seitdem. Es macht mich nicht zu einem besseren Menschen, aber es relativiert alle meine Beschwernisse mit dem Eindruck: So einfach und intensiv kann Leben sein.

Konstantin Wecker hat das einmal in die Worte gefaßt: Es sind nicht immer die Lauten stark, nur weil sie lautstark sind. Manchen gelingt das Leben leise viel echter.

Pssst…