Der Rote Faden

Von Rolf Mackowiak

Warten

Warten wir also ab, wann wir das nächste Mal alles schon gewußt haben könnten.

Beim Stichwort „Warten“ fällt mir früher oder später Marvin ein, der depressive Roboter aus „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams. Der hatte mit mehreren Millionen Jahren allerdings auch Grund zur Depression. Normales Warten treibt mich nicht unbedingt in die Depression, aber nervig finde ich es schon. Wobei es schon sehr darauf ankommt, worauf ich warte. Da gibt es ja das mit Vorfreude gepaarte Warten, wenn etwas – endlich, endlich! – stattfindet, auf das ich schon lange gewartet habe. Ein Konzert mit einer Band, die sich sonst nie in diese Stadt verirrt – das hat schon was. Oder wenn mein geliebter Mensch von einer Reise zurückkommt.

Die andere Seite ist das Warten im – wo auch sonst? – Wartezimmer eines Arztes, obwohl ich einen Termin habe, der aber seltsam unverbindlich zu sein scheint. Das ist Zeit, die ich kaum sinnvoll nutzen kann, verlorene Zeit gewissermaßen. Meine letzte Erfahrung in dieser Hinsicht sah so aus, daß ich einen Termin um 9:00 Uhr hatte und die bestenfalls 30minütige Untersu­chung mich bis kurz vor 11 festhielt. Wenn ich clever gewesen wäre (bin ich aber nicht immer), dann hätte ich mir etwas zu Lesen mitgenommen, und die Sache wäre halb so wild gewesen. So saß ich einfach nur da und wartete.

Was macht das Warten so unangenehm, ja störend? Ich kann das nicht so klar definieren, denn jedes Warten hat ja so seine Eigenheiten. Wenn ich im Bahnhof sitze und auf meinen Zug warte, habe ich eine gewisse Verspätung ja oft schon eingerechnet. Auf der anderen Seite kann ich mich auch noch gut daran erinnern, wie flehentlich ich im Zug auf die Uhr schaute, weil mein Anschlußzug mir, Pünktlichkeit vorausgesetzt, gerade mal 8 Minuten Zeit ließ, den richtigen Bahnsteig zu erreichen.

Obwohl es schon ewig lange her ist – an meine Führerscheinprüfung kann ich mich noch gut erinnern. Wie bei jeder Prüfung war ich erst einmal kribbelig, weil ich nicht ganz genau wußte, was mich erwartete. Es war dann so, daß der Prüfling vor mir wohl einen denkbar schlechten Tag erwischt hatte. Ich war zwar nicht dabei, aber als sich Fahrlehrer und –prüfer darüber unterhielten, malte ich mir immer aus, was ich denn schon falsch gemacht haben könnte. Die Unruhe stieg, weil ich im Grunde vom Gelände des TÜV nur in die Innenstadt mußte und dann auch schon wieder zurück zum TÜV gewiesen wurde. Kein Einparken oder sonstige Dinge, bei denen ich die Prüfung hätte in den Sand setzen können. Genau das machte mich unruhig, denn ich überlegte – so weit ich dazu überhaupt kam – nur noch, wo ich denn den Fehler gemacht hatte, der den Prüfer veranlaßte, mich nur die Basics ausführen zu lassen, aber nichts, was irgendwie schwieriger war. Im Grunde war ich nur einmal in der Runde gefahren. Wieder am TÜV angekommen, dachte ich nur an die zwei Versuche, die mir ja noch blieben. Bis der Prüfer mir zur bestanden Prüfung gratulierte. So ganz hatte ich in dem Moment seinen Worten allerdings nicht getraut. Und mir stand noch die Prüfung für den Motorrad-Führerschein bevor. Ich kann heute nicht mehr sagen, was mich mehr geschafft hat: die Prüfungen oder das Warten darauf.

Warten hat also auch mit Er-warten zu tun. Wir malen uns aus, was kommen könnte, und danach bemißt sich oft, ob wir enttäuscht oder begeistert sind. Mir kommt da aus der Zeit meine Obdachlosigkeit eine Reihe von Gesprächen in den Sinn, die sich daraus ergaben, daß manche einfach wissen wollten, wie ich in diese Situation geraten war. Generell kann ich sagen, daß solche ungeplanten Gespräche sich oft sehr intensiv entwickelten, weil ich etwas zu sagen hatte und ein anderer zuhören konnte.

Dagegen steht dann die Erfahrung, daß z. B. ein Buch, das in den Besprechungen viel Lob einheimste, bei mir bestenfalls Langeweile erzeugte. Früher hat mich das oft sehr verunsichert – war mein Urteilsvermögen wirklich so angreifbar? Mittlerweile urteile ich da einfach nach meinem Geschmack, der sich ja im Laufe der Jahrzehnte herausgebildet hat und damit alles anderere als unfundiert ist.

Beim Stichwort Warten/Erwarten komme ich um ein Thema nicht herum: Weihnachten. Wer erinnert sich nicht an die fast unerträgliche Spannung, was denn unter dem Baum liegen würde? War der Wunschzettel denn wirklich beim Weihnachtsmann angekommen und war ich auch artig genug gewesen? Heute dagegen ist Weihnachten eine Sache, die einfach ausfallen könnte – es verbinden sich keine besonderen Erwartungen mehr damit. Auf seine Weise schon ein ziemlicher Verlust.

Aber meistens verläuft ein Warten wesentlich undramatischer: an der Haltestelle oder ob endlich ein freier Parkplatz in Sicht kommt.

Verglichen damit hat das Warten auf den Regen, der seit 2 Jahren ausgeblieben war, schon eine wesentlich existentiellere Rolle. Da wird das Warten noch durch den Umstand, daß sich dies nicht von uns Menschen beeinflussen läßt, verschärft.

Warten kann man also wesentlich nur auf Dinge, die wir auch er-warten. Das Hochwasser an der Ahr hat sich einfach nicht an diese Regel gehalten. Verblüfft schauen wird dann, ob es nicht Anzeichen gegeben hat, die genau dies erwarten ließen, und sicher findet sich irgendein Experte, der genau diese Erwartung erfüllt. Aber hilft uns das?

Im Grunde sind uns solche „Besserwisser“ auch suspekt. Was hat der, was ich nicht habe, d. h., warum habe ich die Dinge nicht auch gesehen? Im Nachhinein ist man immer klüger und mich erinnert das an die Rolle Dr. Watsons, der Holmes` Erklärungen hinterher auch völlig einsichtig findet – zu denselben Schlüssen aber eben nicht in der Lage war.

Warten wir also ab, wann wir das nächste Mal alles schon gewußt haben könnten. Aber sind wir nicht längst in dieser Situation? Die Folgen des Klimawandels werden langsam auch von Skeptikern nicht mehr geleugnet. Die Frage ist nur, ob das Klima uns die Zeit läßt, in diesem Punkt nicht erst durch Schaden klug zu werden. Warten wir’s ab.