Ihr Blick ist detailreicher als viele Geschichtsbücher, weil sie den Blick nicht nur auf die bloßen Fakten richtet, sondern auch die Menschen genau betrachtet.
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Irmgard Keun
Der Name dieser Schriftstellerin wird den wenigsten noch etwas sagen. Es gab zwar 1979/80 eine Neuauflage ihrer Werke, wirklich Fuß fassen konnte sie im Literaturbetrieb nicht mehr. Ihre Biografie ist nicht uninteressant, hatte auch Einfluß auf ihre Werke.
Bekanntheit gewann sie in den 30er Jahren mit ihrem Erstling „Gilgi, eine von uns“. Sie spiegelt darin die Welt der oft weiblichen „kleinen Angestellten“ mit ihren Träumen und gibt einen guten Einblick in das soziale Gefüge und den Aufstieg des Nationalsozialismus. Ihr Blick ist detailreicher als viele Geschichtsbücher, weil sie den Blick nicht nur auf die bloßen Fakten richtet, sondern auch die Menschen genau betrachtet. Das entsprach auch dem Ansatz der Neuen Sachlichkeit, die die Realität möglichst genau abzubilden versuchte.
Auch ihr zweiter Roman „Das kunstseidene Mädchen“ folgt diesem Ansatz. Dies stand natürlich in krassem Gegensatz zur Ideologie des Nationalsozialismus und führte dazu, daß ihre Bücher verboten wurden. Keun nahm dies nicht hin, sondern klagte gegen dieses Verbot und forderte Schadensersatz. Sie scheitert 1936 mit dieser Klage und geht ins Exil nach Belgien, wo sie auch den Schriftsteller Joseph Roth kennenlernt, zu dem sie bis 1938 eine Liebesbeziehung hat. Schon in dieser Zeit litt sie an einer Alkoholabhängigkeit. Sie schreibt noch mehrere Bücher, die auch ihre Erfahrungen im Exil reflektieren wie „Kind aller Länder“. 1940 erschien die Falschmeldung, sie habe sich das Leben genommen. Dies hilft ihr, mit Hilfe eines SS-Mannes falsche Papiere zu bekommen. Sie reist nach Köln zurück und verbringt die restlichen Kriegsjahre bei ihren Eltern.
Wie viele andere Künstler auch kann Keun nicht an ihre Erfolge der Vorkriegszeit anknüpfen. Ihre alten Bücher sind weitgehend vergessen, neue finden kaum Leser. 1951 wird ihre Tochter Martina geboren, zu dessen Vater sie keine Auskunft gibt. Der Alkohol wird ihr ständiger Begleiter. Zu einem Interviewtermin fordert sie ausdrücklich, die Interviewerin solle ihr Hochprozentiges mitbringen, sonst könne sie das Interview vergessen.
Irmgard Keun stirbt am 5. Mai 1982 in Köln an Lungenkrebs.
Was verbindet mich mit Irmgard Keun? Ich hatte mich, nachdem ich einige ihrer Romane gelesen hatte, mit ihrer Biographie beschäftigt und so ziemlich alles, was im deutschsprachigen Raum verfügbar war, zusammengetragen. Heute, mit den Möglichkeiten des Internets, käme ich auf bedeutend mehr Material. Aus all dem ist mir hauptsächlich ein Satz im Gedächtnis geblieben, der zu meinen Lieblings-Zitaten gehört: „Einen Brief macht man auf und zieht etwas heraus, das beißt und sticht, obwohl es kein Tier ist.“ Im Laufe der Jahrzehnte ist die Erinnerung an ihre Bücher bei mir verblaßt und wenn ich etwas über sie sagen wollte, müßte ich sie erneut lesen.